Metro 2034
der Sprengköpfe, war längst wüst und leer. Die letzten Spieler hatten bereits vor Jahrzehnten aufgegeben, und jene entstellten, Angst einflößenden Figuren, die nun darauf herumkrochen, spielten eine neue Partie nach ganz eigenen Regeln. Aus Sicht der Menschen war an eine Revanche nicht zu denken.
Kurze Expeditionen auf der Suche nach allem Nützlichen, das in über zwanzig Jahren noch nicht zerfallen war, hastige, ja fast verschämte Raubzüge durch die eigenen Häuser -das war das Einzige, wozu sie noch in der Lage waren. Im Harnisch ihrer Strahlenschutzanzüge stiegen die Stalker hinauf, um zum hundertsten Mal die Skelette der umliegenden Chruschtschowkas zu durchsuchen, doch keiner von ihnen wagte es, die jetzigen Einwohner entschlossen zu bekämpfen. Man gab höchstens mal eine MP-Salve ab, zog sich in die von Ratten verdreckten Wohnungen zurück, und sobald die Gefahr vorüber war, stürzte man Hals über Kopf zurück zum rettenden Abstieg in den Untergrund.
Die alten Stadtpläne der Hauptstadt hatten jeglichen Bezug zur Wirklichkeit verloren. Wo sich früher auf breiten Ausfallstraßen kilometerlang die Autos stauten, taten sich nun womöglich Abgründe auf oder befand sich schwarzes, undurchdringliches Gestrüpp. Wo einst Wohnviertel gewesen waren, lagen jetzt Sümpfe oder einfach verbranntes, kahles Land. Nur die verwegensten Stalker wagten sich bei ihren Expeditionen bis auf einen Kilometer von ihren Heimatlöchern weg, die meisten gaben sich mit weitaus weniger zufrieden.
Die Stationen jenseits des Nachimowski prospekt -die Nagornaja, Nagatinskaja und Tulskaja - hatten keine offenen Ausgänge, und die Menschen, die an zwei dieser Stationen lebten, scheuten sich nach oben zu gehen. Woher also aus dieser Ödnis ein lebender Mensch auftauchen sollte, war für Homer ein absolutes Rätsel. Und doch drängte sich ihm der Gedanke auf, dass Hunter ihre Station von der Oberfläche her betreten hatte.
Denn es gab nur noch eine letzte andere Möglichkeit, woher ihr Brigadier eingetroffen sein konnte. Diese Möglichkeit kam dem alten Atheisten wider Willen in den Sinn, während er versuchte, seine Atemnot zu bekämpfen und der dunklen Silhouette zu folgen, die vor ihnen dahinglitt, als ob sie den Boden gar nicht berührte.
Von unten . »Ich hab ein schlechtes Gefühl«, sagte Achmed zögernd und so leise, dass Homer ihn gerade noch hören konnte. »Es ist nicht die richtige Zeit, um hier zu sein. Du kannst mir glauben, ich bin schon so oft mit'ner Karawane unterwegs gewesen. An der Nagornaja braut sich was zusammen.«
Die kleinen Räuberbanden, die sich nach einem Überfall möglichst weit von der Ringlinie zurückzogen, um an irgendeiner dunklen Station Rast zu machen, wagten es schon lange nicht mehr, sich den Karawanen der Sewastopolskaja zu nähern. Sobald sie das gleichmäßige Donnern der beschlagenen Stiefel hörten, das die Ankunft schwerer Infanterie ankündigte, suchten sie eilig das Weite.
Nein, nicht wegen der Räuberbanden und auch nicht wegen der Aasfresser vom Nachimowski prospekt waren diese Karawanen immer so gut geschützt. Ihre knochenharte Ausbildung, absolute Furchtlosigkeit, ihre Fähigkeit, sich in Sekundenschnelle zu einer stählernen Faust zusammenzuschließen und jegliche Gefahrenquelle mit einem Kugelhagel zu vernichten, all das hätte die Konvois der Sewastopolskaja zu den unangefochtenen Herren über sämtliche Tunnel bis hin zur Serpuchowskaja machen können - wenn da nicht die Nagornaja gewesen wäre.
Die Schrecken des Nachimowski lagen hinter ihnen, doch weder Homer noch Achmed verspürten auch nur einen Moment so etwas wie Erleichterung. Die unscheinbare, ja unansehnliche Nagornaja war schon für viele Reisende, die ihr nicht mit der nötigen Vorsicht begegnet waren, zur Endstation geworden. Jene armen Kerle, die zufällig zur benachbarten Nagatinskaja gelangten, hielten sich möglichst weit entfernt vom gierigen Schlund des südlichen, zur Nagornaja führenden Tunnels. Als ob sie das schützte. Als wäre das, was aus diesem Tunnel herauskroch, um Beute zu machen, zu träge, um noch ein wenig weiter zu kriechen und sich ein Opfer nach seinem Geschmack auszusuchen.
Sobald man die Nagornaja betrat, konnte man sich nur auf sein Glück verlassen, denn Gesetzmäßigkeiten kannte diese Station nicht. Mal ließ sie einen schweigend passieren, und die Reisenden betrachteten mit Schaudern die blutigen Abdrücke an den Wänden und gerieften Säulen, die die Vermutung nahelegten,
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