Metro 2034
geschehen sein, etwas Furchtbares, das weder die schwer bewaffneten, kampferprobten Begleitsoldaten noch die jahrelang gepflegten Beziehungen zur Führung der Hanse hatten verhindern können.
Die Sache wäre weniger beunruhigend gewesen, wenn man wenigstens hätte kommunizieren können. Doch mit der Telefonleitung zur Ringlinie war etwas nicht in Ordnung, die Verbindung war bereits am Montag abgebrochen, und der Trupp, den man auf die Suche nach der Bruchstelle geschickt hatte, war ohne Ergebnis zurückgekehrt.«
Homer hob die Augen und zuckte zusammen - das Mädchen stand hinter ihm und blickte über seine Schulter auf sein Gekritzel. Die Neugier schien das Einzige zu sein, was sie auf den Beinen hielt.
Verschämt drehte der Alte das Notizbuch mit dem Umschlag nach oben. »Wartest du auf eine Eingebung?«, fragte sie ihn. »Ich bin erst ganz am Anfang«, murmelte Homer. »Und was ist mit der Karawane geschehen?«
»Ich weiß es nicht.« Er begann sorgfältig einen Rahmen um den Titel zu zeichnen. »Die Geschichte ist noch lange nicht zu Ende. Leg dich jetzt wieder hin, du musst dich ausruhen.« »Aber es hängt doch von dir ab, wie das Buch ausgeht«, entgegnete sie, ohne sich vom Fleck zu rühren.
»In diesem Buch hängt gar nichts von mir ab.« Homer legte den Stift auf den Tisch. »Ich denke es mir nicht aus. Ich schreibe einfach alles auf, was passiert.« »Dann hängt es ja noch viel mehr von dir ab«, sagte das Mädchen nachdenklich. »Komme ich auch darin vor?« Homer lächelte. »Gerade wollte ich dich um Erlaubnis bitten.« »Ich werde darüber nachdenken«, erwiderte sie ernsthaft. »Wozu schreibst du das Buch?« Homer stand auf, um mit ihr auf Augenhöhe zu sprechen. Bereits nach dem letzten Gespräch mit Sascha war ihm klar geworden, dass ihre Jugend und mangelnde Erfahrung ein falsches Bild erzeugten. An der seltsamen Station, an der sie sie aufgegabelt hatten, schien ein Jahr für zwei zu zählen. So antwortete sie weniger auf die Fragen, die er laut aussprach, als vielmehr auf all das, was unausgesprochen blieb. Und sie stellte nur solche Fragen, auf die er selbst keine Antwort wusste.
Außerdem schien ihm: Wenn er auf ihre Aufrichtigkeit zählte - und wie könnte sie sonst seine Heldin werden? -, musste er selbst auch ehrlich zu ihr sein, sie nicht wie ein Kind behandeln, sich nicht in Schweigen hüllen. Er durfte ihr nicht weniger sagen, als er sich selbst eingestand.
Er räusperte sich und sagte: »Ich will, dass die Menschen sich an mich erinnern. An mich und an diejenigen, die mir nahestanden. Dass sie wissen, wie die Welt war, die ich liebte. Dass sie das Wichtigste von dem hören, was ich erfahren und begriffen habe. Dass mein Leben nicht umsonst war. Dass etwas von mir zurückbleibt.« »Du legst also deine Seele hinein?« Sie legte den Kopf schief. »Aber das ist doch nur ein Notizbuch. Es kann verbrennen oder verloren gehen.«
»Ein unsicherer Aufbewahrungsort für die Seele, nicht wahr?« Homer seufzte. »Nein, dieses Heft brauche ich nur, um alles in der nötigen Reihenfolge zu ordnen. Und damit ich nichts Wichtiges vergesse, solange die Geschichte noch nicht zu Ende ist. Wenn sie erst mal fertig ist, muss man sie nur einigen Leuten weitererzählen. Wie ich mir das vorstelle, braucht man dann hoffentlich weder Papier noch einen Körper zu ihrer Verbreitung.«
»Sicher hast du viel gesehen, was nicht vergessen werden sollte.« Das Mädchen zuckte mit den Schultern. »Ich habe nichts, was wert wäre, aufgeschrieben zu werden. Lass mich aus dem Buch raus. Verschwende für mich kein Papier.« »Aber du hast doch noch alles vor dir .«, begann Homer und musste daran denken, dass er das nicht mehr miterleben würde. Das Mädchen reagierte nicht, und Homer befürchtete schon, dass sie sich ihm ganz verschließen würde. Er suchte nach den richtigen Worten, um all das wieder zurückzunehmen, doch verstrickte er sich dabei immer mehr in seinen Zweifeln. »Was ist das Schönste, woran du dich erinnerst?«, fragte sie plötzlich. »Das Allerschönste?«
Homer zögerte. Es war eine seltsame Vorstellung, einer Person sein Innerstes mitzuteilen, die er erst seit zwei Tagen kannte. Nicht einmal Jelena hatte er diese Dinge anvertraut - sie war immer davon ausgegangen, dass an der Wand ihres Kämmerchens eine gewöhnliche Stadtlandschaft hing. Würde ein Mädchen, das sein ganzes Leben im Untergrund zugebracht hatte, überhaupt verstehen können, was er ihr erzählte? Er entschloss sich, es
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