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Metro 2034

Metro 2034

Titel: Metro 2034 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dmitry Glukhovsky
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darauf ankommen zu lassen.
    »Sommerregen«, sagte er. Sascha runzelte die Stirn, was komisch aussah. »Was ist daran so schön?« »Hast du jemals Regen gesehen?«
    »Nein.« Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Vater wollte mich nicht nach draußen lassen. Ich bin trotzdem zwei oder dreimal rausgeklettert, aber mir gefiel es dort überhaupt nicht. Es ist schrecklich, wenn um dich herum keine Wände sind.« Dann erklärte sie, für alle Fälle: »Regen, das ist, wenn Wasser von oben kommt.«
    Homer hörte ihr nicht mehr zu. Wieder stieg vor ihm jener Tag aus der fernen Vergangenheit auf. Wie ein Medium stellte sich sein Körper einem herbeigerufenen Geist zur Verfügung, richtete er seinen Blick in die Leere und hörte nicht auf zu sprechen. »Den ganzen Monat war es trocken und heiß gewesen.
    Meine Frau war schwanger, sie hatte sowieso immer Atemprobleme gehabt, und dann auch noch die Hitze . In der Entbindungsklinik gab es auf der gesamten Station einen einzigen Ventilator, und sie beklagte sich, wie schwül es war. Auch ich konnte kaum atmen, so sehr tat sie mir leid.
    Es war schlimm: Jahrelang hatten wir ohne Erfolg versucht, Kinder zu bekommen, und die Ärzte machten uns Angst, es könnte eine Totgeburt werden. Nun lag sie unter Beobachtung, dabei wäre sie besser zu Hause geblieben. Der Geburtstermin war bereits verstrichen, aber von Wehen keine Spur. Man kann sich ja schließlich nicht jeden Tag freinehmen. Irgendwer hatte mir gesagt, wenn man ein Kind zu lange austrägt, steigt das Risiko einer Totgeburt. Ich wusste nicht mehr aus noch ein. Kaum war ich mit der Arbeit fertig, rannte ich zur Klinik und hielt unter ihrem Fenster Wache. In den Tunneln gab es keinen Empfang, also kontrollierte ich an jeder Station, ob ich irgendwelche Anrufe verpasst hatte. Und da, plötzlich die Nachricht vom Arzt: ‚Bitte umgehend zurückrufen.‘ Bis ich einen einigermaßen ruhigen Ort gefunden hatte, hatte ich meine Frau und meinen Sohn schon in Gedanken begraben, ich alter, ängstlicher Dummkopf. Ich wählte also.«
    Homer verstummte und lauschte dem Signal, wartete, ob jemand abhob. Das Mädchen unterbrach ihn nicht. Sie hob sich ihre Fragen für später auf.
    »Dann sagte mir eine fremde Stimme: Glückwunsch, es ist ein Junge. Das klingt so einfach: Es ist ein Junge. Von den Toten haben sie mir damals meine Frau zurückgebracht, und dann noch dieses Wunder . Ich lief nach oben und es regnete. Ein kühler Regen. Die Luft war so leicht geworden, so durchsichtig. Als wäre die Stadt unter einer staubigen Plastikfolie gelegen, und plötzlich hätte jemand sie abgenommen. Die Blätter glänzten, der Himmel beweg
    te sich endlich wieder, und die Häuser sahen auf einmal so frisch aus. Ich lief die Twerskaja entlang, zu dem Blumenstand, und ich weinte vor Glück. Ich hatte einen Schirm dabei, aber ich machte ihn nicht auf, ich wollte nass werden, wollte ihn spüren, diesen Regen. Ich kann das gar nicht wiedergeben . Als wäre ich selbst neu geboren worden und sähe die Welt zum ersten Mal. Und auch die Welt war frisch und neu, als hätte man ihr eben erst die Nabelschnur durchtrennt und sie zum ersten Mal gebadet. Als wäre alles neu geworden und man könnte all das Schlechte, all das, was schiefgegangen war, wiedergutmachen. Ich hatte jetzt ja zwei Leben: Was ich nicht erreichen würde, würde mein Sohn für mich schaffen. Alles lag noch vor uns. Vor uns allen .«
    Wieder schwieg Homer. Er sah, wie die zehnstöckigen Stalinhäuser allmählich im rosafarbenen Abendnebel verschwammen, tauchte ein in das geschäftige Lärmen der Twerskaja, atmete die süßliche, abgashaltige Luft, schloss die Augen und hielt sein Gesicht in den sommerlichen Platzregen. Als er wieder zu sich kam, glänzten auf seinen Wangen und in den Augenwinkeln noch immer kleine Regentropfen.
    Hastig wischte er sie mit dem Ärmel fort. »Weißt du«, sagte das Mädchen nicht weniger verlegen,
    »vielleicht ist Regen ja doch was Schönes. Ich habe solche Erinnerungen nicht. Gibst du mir etwas davon ab? Wenn du willst« - sie lächelte ihn an - »kannst du mich in dein Buch aufnehmen. Irgendwer muss ja doch verantwortlich dafür sein, wie das Ganze ausgeht.«
    »Es ist noch zu früh«, widersprach der Arzt streng. Sascha wusste nicht, wie sie diesem Bürokraten die Wichtigkeit dessen, um was sie ihn gebeten hatte, erklären sollte. Sie holte noch einmal Luft für eine weitere Attacke, beließ es dann aber bei einer unwirschen Bewegung mit ihrer gesunden Hand und

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