Metro 2034
so schwach und biegsam gewesen wie ihre zartesten und jüngsten Triebe. Einst hatte sie sich an den vermeintlich ewigen und unzerstörbaren Vorsprüngen und Balkonen des Turms festgeklammert. Wäre der Turm nicht so hoch gewesen, sie wäre nie zu solcher Größe herangewachsen.
Verblüfft, ja verzaubert betrachtete Sascha die Pflanze und das von ihr gerettete Gebäude. Alles bekam nun wieder einen Sinn für sie, und ihr Kampfeswille kehrte zurück. Eigentlich seltsam, denn für sie selbst hatte sich überhaupt nichts verändert. Und doch war wider Erwarten durch die graue Kruste der Verzweiflung ein winziger grüner Spross der Hoffnung gestoßen. Sicher gab es Dinge, die sie nie mehr wiedergutmachen konnte. Taten, die nun einmal geschehen waren, Worte, die sie nicht mehr zurücknehmen konnte. Und doch gab es in dieser Geschichte noch viel, was sie ändern konnte, auch wenn sie noch nicht wusste wie. Das Wichtigste war, dass sie wieder neue Kraft in sich spürte.
Nun glaubte Sascha auch den Grund zu erahnen, warum die gefräßige Chimäre sie unversehrt hatte gehen lassen: Jemand hatte das Ungeheuer an einer unsichtbaren Kette zurückgehalten, damit sie noch eine Chance bekam. Voller Dankbarkeit, war sie nun bereit zu verzeihen, bereit, neu zu diskutieren und zu kämpfen. Von Hunter brauchte sie dafür nur einen winzigen Hinweis. Nur noch ein Zeichen.
Plötzlich erlosch die untergehende Sonne und flammte wieder auf. Sascha hob den Kopf und erhaschte aus dem Augenwinkel einen schwarzen, rasend schnellen Schatten, der über ihrem Kopf aufgetaucht war. Für eine Sekunde hatte er das Himmelsgestirn verdunkelt.
Ein Pfeifen durchschnitt die Luft, dann ein ohrenbetäubendes Kreischen - und wie ein Fels stürzte ein Ungetüm vom Himmel auf Sascha herab. Instinktiv warf sie sich im letzten Moment zu Boden, und nur das rettete sie -der Schatten verfehlte sie um Haaresbreite. Ein riesiges Ungeheuer glitt mit ausgebreiteten Hautflügeln über den Boden, schwang sich mit einem mächtigen Schlag wieder in die Luft und begann einen Halbkreis zu fliegen, um erneut zum Angriff überzugehen.
Sascha griff nach ihrem Gewehr, ließ jedoch sogleich die Arme wieder sinken. Selbst eine frontale Salve würde dieses Monstrum nicht aufhalten, geschweige denn zur Strecke bringen. Außerdem musste sie es überhaupt erst einmal treffen!Sie stürzte zurück zu dem freien Platz, von dem aus sie sich auf ihre kurze Wanderung gemacht hatte. Sie verschwendete keinen Gedanken daran, wie sie wieder in die Metro zurückkehren würde.
Das fliegende Ungeheuer stieß einen Jagdschrei aus und stürzte erneut auf sie zu. Sascha verfing sich in den breiten Hosenbeinen ihres Anzugs und fiel bäuchlings auf den Boden, doch schaffte sie es, sich auf den Rücken zu drehen und eine kurze Salve abzugeben. Die Kugeln schreckten die Kreatur für einige Augenblicke ab, ohne sie ernsthaft zu verletzen. Die wenigen so gewonnenen Sekunden nutzte Sascha jedoch, um sich aufzurappeln und auf die nächsten Häuser zuzulaufen. Endlich wusste sie, wie sie sich vor dem Angreifer schützen konnte.
Nun kreisten bereits zwei Schatten am Himmel. Sie hielten sich durch schweres Schlagen ihrer breiten, ledrigen Flügel in der Luft. Saschas Plan war einfach: Wenn sie sich dicht bei den Häuserwänden hielt, würden diese großen und unbeweglichen Monster sie nicht zu fassen bekommen.
Wie sie von dort weiterkam. Nun, sie hatte sowieso keine Alternative. Geschafft!Sie drückte sich gegen eine Mauer und hoffte, dass die furchtbaren Kreaturen von ihr ablassen würden.
Aber nein: Offenbar hatten sie schon geschicktere Beute gejagt. Sie landeten - zuerst eines, dann das zweite - etwa zwanzig Meter von ihr entfernt und kamen, die zusammengefalteten Flügel hinter sich herziehend, langsam auf sie zu.
Eine weitere Gewehrsalve schreckte sie nicht, sondern reizte sie nur noch mehr; die Kugeln schienen in ihrem dicken Fell stecken zu bleiben. Das Tier, das Sascha am nächsten gekommen war, fletschte sein Gebiss: Unter einem wulstigen Rüssel und einer hochgezogenen schwarzen Lippe kamen schiefe, haarnadelscharfe Zähne zum Vorschein.
»Hinlegen!«
Sascha warf sich zu Boden, ohne darüber nachzudenken, woher diese Stimme kam. Plötzlich explodierte etwas in allernächster Nähe, und eine brennend heiße Druckwelle erfasste sie. Sogleich folgte eine zweite, dann ertönte wildes, tierisches Kreischen sowie sich entfernendes Flügelschlagen.
Zögerlich hob sie den Kopf, hustete Staub aus
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