Metro2033
Versehen an den Rand dieser Welt gelangte, so spürte er instinktiv die schwarze Gefahr, die von dort ausging, und schreckte vor dem gähnenden Loch des Eingangs zurück wie vor dem Tor einer pestbefallenen Stadt.
Niemand hatte die Ratten aufgeschreckt. Niemand war in ihr Reich hinabgestiegen. Niemand hatte es gewagt, ihre Grenzen zu verletzen.
Sie waren von selbst gekommen.
Viele Menschen starben an jenem Tag, als ein Strom gigantischer Ratten, so groß, wie sie noch nie jemand gesehen hatte, erst die Absperrungen überwand und dann die ganze Station überflutete. Es waren so viele, dass sie die Menschen unter sich begruben und die Todesschreie in der Masse ihrer Körper erstickten. Sie fraßen alles, was ihnen in den Weg kam: tote und lebende Menschen ebenso wie erschlagene Artgenossen - blindlings, unerbittlich, getrieben von einer unbegreiflichen Macht, strebten sie vorwärts, weiter und weiter.
Am Leben blieben nur wenige. Nicht Frauen, Alte oder Kinder, nicht die, die gewöhnlich als Erste gerettet werden, sondern fünf starke Männer, die dem todbringenden Strom zuvorgekommen waren. Die ihm nur deshalb entrinnen konnten, weil sie im südlichen Tunnel mit einer Draisine auf ihrem Posten standen. Als sie die Schreie von der Station hörten, rannte einer von ihnen los, um zu erkunden, was geschehen war. Die Timirjasewskaja befand sich bereits im Todeskampf, als er die Station am Ende des Streckenabschnitts erblickte. Er sah, wie Ströme von Ratten auf den Bahnsteig schwappten, und begriff augenblicklich, was geschehen war. Schon wollte er wieder kehrtmachen, denn ihm war klar, dass er denen, die die Station verteidigten, nicht würde helfen können, als ihn plötzlich jemand von hinten am Arm packte. Er drehte sich um, und die Frau, die ihn hartnäckig am Ärmel zog, rief, das Gesicht vor Angst verzerrt, das vielstimmige, verzweifelte Schreien mühsam übertönend: »Rette ihn, Soldat! Hab Mitleid!«
Er erblickte eine Kinderhand, ein paar kleine, angeschwollene Finger, die sich ihm entgegenstreckten. Er ergriff die Hand, ohne darüber nachzudenken, dass er jemandes Leben rettete, sondern weil man ihn Soldat genannt und um Mitleid gebeten hatte. Und während er das Kind hinter sich herzog, es sich schließlich einfach unter den Arm klemmte, lief er mit den ersten Ratten um die Wette, ein Wettlauf mit dem Tod - vorwärts, durch den Tunnel, dorthin, wo die Draisine mit den anderen wartete. Schon von Weitem, aus fünfzig Metern Entfernung, rief er ihnen zu, sie sollten den Motor anlassen. Es war die einzige motorisierte Draisine im Umkreis von zehn Stationen. Sie fuhren los, durchquerten mit höchster Geschwindigkeit die verlassene Dmitrowskaja, auf der sich nur ein paar Einsiedler zusammengedrängt hatten. Im Vorbeifahren riefen sie ihnen zu: »Lauft! Die Ratten!«, doch war ihnen klar, dass jene sich nicht mehr würden retten können. Als sie sich den Vorposten der Sawjolowskaja näherten, mit der sie damals glücklicherweise in Frieden lebten, drosselten sie die Geschwindigkeit, damit man sie nicht für Angreifer hielt und von weitem auf sie schoss. Aus Leibeskräften brüllten sie den Wachen zu: »Die Ratten! Die Ratten kommen!« Sie waren bereit, die Sawjolowskaja hinter sich zu lassen und weiter zu fliehen, die ganze Serpuchowsko-Timirjasewskaja-Linie entlang, immer wieder um Durchlass flehend, solange es eben noch ein Ziel gab, wohin sie fliehen konnten - bis die graue Lava schließlich die ganze Metro überfluten würde.
Doch zum Glück befand sich an der Sawjolowskaja etwas, das ihnen und der ganzen Station, ja vielleicht sogar der gesamten Linie das Leben rettete. Kaum hatten sie den Wachleuten in rasender Eile die drohende Todesgefahr geschildert, da machten sich jene bereits ans Werk und enthüllten eine eindrucksvolle Maschine: Ein Flammenwerfer, von begabten Technikern zwar aus einzelnen Fundstücken zusammengebaut, aber äußerst leistungsstark.
Schon waren die ersten Ratten zu sehen, und das Rascheln und Kratzen Tausender Pfoten ertönte aus der Dunkelheit immer lauter, da warfen die Wachleute die Maschine an und schalteten sie erst wieder ab, als ihnen der Brennstoff ausging. Eine orangefarbene, meterlange Flamme schoss mit Gebrüll in den Tunnel und brannte, verbrannte Ratten, unaufhörlich, zehn, fünfzehn, zwanzig Minuten lang. Der Tunnel füllte sich mit dem ekligen Gestank versengten Fleisches und dem wilden Kreischen der Ratten ... Und im Rücken der Wächter der Sawjolowskaja, die
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