Metro2033
warm an, dass die Stimme der Vernunft besänftigt verstummte.
Und dazu einen Krug braschka, diesen weichen, leicht vergorenen Wein, der so angenehmen Schwindel erzeugte, aber nicht so stark war wie der trübe Selbstgebrannte in den schmutzigen Flaschen und Glasbehältern, bei dessen Geruch einem schon die Knie weich wurden. Gut, noch drei Patronen - aber was sind schon drei armselige Patronen verglichen mit einer Schale dieses glitzernden Elixiers, das dich mit der Unvollkommenheit dieser Welt versöhnt und dir hilft, deine innere Harmonie wiederzugewinnen?
Artjom trank die braschka in kleinen Schlucken. Zum ersten Mal in den letzten Tagen fühlte er sich ruhig und geborgen. Er dachte an die bisherigen Ereignisse, versuchte zu begreifen, was er erreicht hatte und wohin er sich nun wenden sollte. Er war ein weiteres Stück vorangekommen - und wieder stand er am Scheideweg.
Wie der Recke aus den schon fast vergessenen Märchen seiner Kindheit ... So weit lag dies zurück, dass er gar nicht mehr wusste, wer sie ihm eigentlich erzählt hatte: Suchoj, Schenjas Eltern oder seine eigene Mutter. Am besten gefiel ihm der Gedanke, er habe sie von seiner Mutter gehört, denn dabei schien für Augenblicke ihr Gesicht aus dem Nebel aufzutauchen, und er hörte, wie ihm eine Stimme langsam und gemessen vorlas: >Es war einmal ...«
Wie jener mythische Held stand Artjom nun vor einem Stein, an dem sich drei Wege verzweigten: zum Kusnezki Most, zur Tretjakowskaja oder zur Taganskaja. Genüsslich schlürfte er das benebelnde Getränk, während ihn eine selige Mattigkeit übermannte, ihm das Denken immer schwerer fiel und sich ihm im Kopf die Worte drehten: >Gehst du geradeaus, verlierst du dein Leben. Gehst du nach links, verlierst du dein Pferd ...«
Dieser Zustand hätte ewig andauern können. Nach all der Aufregung hatte Artjom Ruhe bitter nötig. In Kitai-gorod lohnte es sich, eine Weile zu bleiben, sich umzusehen und die Ansässigen über die verschiedenen Wege auszufragen. Auch müsste er Khan fragen, ob dieser ihn weiter begleiten würde, oder ob sich ihre Wege an dieser seltsamen Station trennten ...
Doch während Artjoms träge Fantasie sich all das ausmalte und während er erschöpft das kleine Flämmchen beobachtete, das in der Lampe auf dem Tisch tanzte, kam alles auf einmal ganz anders.
8
DAS VIERTE REICH
Plötzlich drangen Pistolenschüsse durch das fröhliche Lärmen der Menge. Eine Frau kreischte auf, irgendwo begann eine Kalaschnikow zu knattern. Der pummelige Wirt riss mit unerwarteter Schnelligkeit ein kurzes Gewehr unter seinem Tresen hervor und stürzte zum Ausgang. Artjom ließ sein halbvolles Weinglas stehen, sprang auf und lief ihm hinterher. Während er sich den Rucksack über die Schulter warf und seine Waffe entsicherte, bedauerte er kurz, dass er im Voraus bezahlt hatte - dies wäre ein günstiger Moment gewesen, die Zeche zu prellen. Die achtzehn Patronen hätte er jetzt gut gebrauchen können.
Schon von der Treppe aus war deutlich zu erkennen, dass etwas Furchtbares vor sich ging. Getrieben von Neugier, kämpfte sich Artjom durch eine panische Menschenmenge, die die Treppe hinaufgestürmt kam.
Auf den Gleisen sah er einige Leichen in Lederjacken. Direkt vor ihm auf dem Bahnsteig lag eine tote Frau, das Gesicht nach unten, in einer hellroten Blutlache, die sich langsam nach allen Richtungen ausbreitete. Hastig schritt er über sie hinweg, vermied es hinabzuschauen, rutschte jedoch aus und wäre beinahe neben ihr hingefallen. Um ihn herum herrschte Panik, halb entkleidete Menschen sprangen aus ihren Zelten und blickten sich verwirrt um. Einer von ihnen blieb kurz stehen und versuchte hektisch in seine Hose zu steigen, doch plötzlich griff er sich an den Bauch und fiel langsam zur Seite.
Woher die Schüsse kamen, konnte Artjom nicht erkennen. Noch immer ertönten Feuersalven. Vom anderen Ende des Saals kamen muskelbepackte Jungs in Lederjacken angerannt, schleuderten dabei kreischende Frauen und verängstigte Händler zur Seite. Doch das waren nicht die Angreifer, sondern einige der Banditen, die hier das Sagen hatten. Auf dem gesamten Bahnsteig war niemand zu sehen, der dem Gemetzel Einhalt gebieten konnte.
Endlich begriff Artjom: Die Angreifer saßen in einem der Tunnel direkt neben ihm und gaben von dort ihre tödlichen Salven ab. Offenbar wagten sie es nicht, sich zu zeigen. Doch sobald sie sahen, dass der Widerstand gebrochen war, würden sie sicher die Station stürmen.
Das änderte die
Weitere Kostenlose Bücher