Metro2033
haltmachen, um Geld zu verdienen, und verlangen Zoll von Durchreisenden. In beiden Sälen beträgt die Gebühr drei Patronen, es macht also keinen Unterschied, von wo man die Station betritt. Gesetze gibt es hier nicht, und eigentlich brauchen sie auch keine, nur das Feuermachen ist streng verboten. Willst du dur kaufen - bitte sehr, und auch beim Schnaps hat man reiche Auswahl. Mit Waffen kannst du dich hier eindecken, damit könnte man die halbe Metro einreißen. Auch die Prostitution läuft prächtig. Allerdings würde ich dir davon eher abraten ...« Tus murmelte verlegen etwas von eigenen Erfahrungen.
»Und was ist mit dem Waggon?«, fragte Artjom.
»Der Waggon? Das ist so eine Art Hauptquartier von ihnen. Wenn jemand sich bei ihnen unbeliebt macht, nicht zahlen will, ihnen was schuldet oder so, bringen sie ihn dorthin. Sie haben ein Gefängnis dort und eine Folterkammer - eine Art Schuldturm, wenn du so willst. Ein Ort, den man unbedingt meiden sollte ... Aber sag, hast du Hunger?«
Artjom nickte. Weiß der Teufel, wie lang es schon her war, seit Khan und er an der Sucharewskaja Tee getrunken und geredet hatten! Ohne Uhr hatte er jegliches Gespür für die Zeit verloren. Die Streifzüge durch die Tunnel und die Abenteuer, die er dabei erlebt hatte, hatten sich möglicherweise stundenlang hingezogen - oder aber nur wenige Minuten gedauert. Außerdem konnte die Zeit in den Tunneln anders laufen als normalerweise. Wie auch immer, Hunger hatte er. Er sah sich um.
»Schaschliks! Heiße Schaschliks!«, schrie ein dunkler Händler mit dichtem schwarzem Schnurrbart unter der Hakennase, der unweit von ihnen stand. Er hatte einen seltsamen Akzent, der Artjom noch nie zuvor aufgefallen war.
Schaschliks machten sie an der WDNCh auch oft und gerne. Aus Schweinefleisch natürlich. Das, was der Verkäufer hier vor sich schwang, hatte jedoch nur entfernt etwas mit einem echten Schaschlik zu tun. Die Stückchen auf den rußgeschwärzten Spießen identifizierte Artjom nach gewissenhafter Prüfung als verkohlte Rattenrümpfe mit verkrümmten Pfoten. Augenblicklich wurde ihm schlecht.
»Du magst keine Ratten?«, fragte Tus mitleidig und deutete auf den Händler. »Die essen dafür kein Schwein. Ist laut Koran verboten. Aber eigentlich sind Ratten halb so schlimm.« Er sah sich gierig auf dem rauchenden Kohlebecken um. »Früher fand ich es auch eklig, aber irgendwann hab ich mich dran gewöhnt. Etwas zäh freilich, ein bisschen viel Knochen, und dann stinken sie immer nach irgendwas. Aber diese Abreken können Rattenfleisch zubereiten, das muss man ihnen lassen. Sie legen es zuerst irgendwie ein, so dass es ganz zart wird, ein Gedicht. Und dann die Gewürze! Und so viel billiger!«
Artjom hielt sich den Mund zu, atmete tief ein, versuchte an etwas anderes zu denken, doch vor seinen Augen sah er ständig diese aufgespießten schwarzen Rattenkörper. Die Eisenstange bohrte sich von hinten in den Körper und trat aus dem geöffneten Maul wieder heraus ...
»Na, wie du meinst. Ich nehme mir jedenfalls was. Du solltest auch zugreifen. Nur drei Kugeln für einen Spieß!« Mit diesem letzten Argument trat Tus an das Kohlebecken heran.
Artjom blieb nichts anderes übrig, als Khan Bescheid zu sagen und sich woanders etwas Genießbares zu suchen. Er ging die ganze Station ab, schlug höflich den Selbstgebrannten aus, der ihm von aufdringlichen Händlern in den unmöglichsten Behältnissen angeboten wurde, und starrte neugierig, aber misstrauisch die verführerischen, kaum bekleideten Frauen an, die vor ihren halb geöffneten Zelten standen und den Passanten heiße Blicke zuwarfen. Sie waren vulgär, aber zugleich unverkrampft und frei, ganz anders als die zugeknöpften, vom harten Leben gezeichneten Frauen der WDNCh. Auch an den Büchertischen machte er halt, sah jedoch nichts Interessantes: zumeist billige, völlig zerfledderte Groschenromane, für Frauen über die große und reine Liebe, für Männer über Mord und Geld.
Die Station war etwa zweihundert Schritt lang - etwas länger als gewöhnlich. Die Wände und die eigenartigen, an eine Ziehharmonika erinnernden Pfeiler waren mit Marmor verkleidet, meist grau-gelb, an einigen Stellen auch rosa. Entlang der Gleise hingen schwere, ursprünglich wohl gelbe Metallbleche, in die kaum noch erkennbar die Insignien einer vergangenen Zeit eingraviert waren.
Doch war all diese lakonische Schönheit in einem beklagenswerten Zustand, hatte nur einen traurigen Seufzer hinterlassen, die
Weitere Kostenlose Bücher