Metro2033
Der Heisere fing an sich heftig mit dem Kerl zu streiten, so dass Artjom bald wegnickte. Diesmal träumte er nichts und schlief so fest, dass er nicht einmal aufwachte, als erneut ein warnender Pfiff ertönte und alle von ihren Plätzen aufsprangen. Offenbar war es ein Fehlalarm, denn es folgten keine Schüsse.
Als Mark ihn endlich weckte, zeigten die Uhren bereits auf dreiviertel sechs.
»Aufstehen, unsere Schicht ist zu Ende!« Mark schüttelte ihn fröhlich an der Schulter. »Gehen wir, ich zeige dir den Durchgang. Hast du einen Pass?«
Artjom schüttelte den Kopf.
»Macht nichts, das kriegen wir schon hin.«
Tatsächlich waren sie bereits wenige Minuten später in besagter Unterführung - während der Wachmann mit zufriedenem Pfeifen zwei Patronen in seiner Hand rollte.
Der Gang war außerordentlich lang, länger als die Station selbst. An der einen Wand waren Schirme aus Segeltuch gespannt, darüber brannten helle Lampen. Auf der gegenüberliegenden Seite verlief ein langer, aber ziemlich flacher Zaun.
»Dies ist einer der längsten Übergänge in der ganzen Metro«, erklärte Mark stolz. »Der Zaun? Weißt du das etwa nicht? Das ist doch überall bekannt! Die meisten Leute kommen nur deswegen hierher. Jetzt ist es noch zu früh, am besten ist es abends, wenn die Station geschlossen ist und die Menschen Feierabend haben. Aber vielleicht gibt es ja heute tagsüber eine Qualifikation. Nein, du hast wirklich noch nie davon gehört? Wir machen hier Rattenrennen, mit richtigen Wetteinsätzen. Wir nennen es Hippodrom. Ist ja ein Ding, ich dachte, jeder kennt das. Spielst du gerne? Ich schon.«
Artjom wollte sich natürlich gerne das Rennen ansehen, doch er hatte Glücksspiele nie besonders gemocht. Zumal ihn jetzt, da er so lange geschlafen hatte, ein düsteres Schuldgefühl plagte. Er durfte nicht bis zum Abend warten. Er durfte überhaupt nicht mehr warten. Er musste weiter, hatte ohnehin schon zu viel Zeit verloren ... Aber der Weg zur Polis verlief über die Hanse, daran führte nichts mehr vorbei. »Ich werde wahrscheinlich nicht bis zum Abend bleiben können«, sagte er. »Ich muss weiter - zur Poljanka.«
Mark runzelte die Stirn. »Das geht nur über die Hanse. Und wie willst du da durch, wenn du nicht nur kein Visum, sondern nicht einmal einen Pass hast? Da kann ich dir nicht mehr helfen, mein Freund. Das heißt, eine Idee hätte ich schon. Der Chef der Pawelezkaja - nicht von unserer Seite, sondern vom Ring - ist ein begeisterter Anhänger unserer Rennen. Seine Ratte, sie heißt Pirat, ist hier der große Favorit. Er taucht jeden Abend auf, begleitet von seiner Leibwache und mit Glanz und Gloria. Wenn du willst, spiel gegen ihn.«
»Aber ich habe doch nichts, was ich einsetzen könnte.«
»Du kannst dich selbst als Einsatz anbieten, als Diener. Wenn du willst, tue ich es für dich.« Marks Augen blitzten leidenschaftlich. »Wenn wir gewinnen, bekommst du dein Visum. Wenn wir verlieren, kommst du auch hinüber, allerdings liegt es dann bei dir, wie du dich aus der Affäre ziehst. Wäre das nichts?«
Artjom gefiel dieser Plan überhaupt nicht. Sich selbst in die Sklaverei zu verkaufen - mehr noch, sich bei einem Rattenrennen zu verspielen -, war irgendwie unter seiner Würde. Er beschloss, sich auf anderem Wege zur Hanse durchzuschlagen.
Einige Stunden lang umschlich er die unbeweglichen Grenzsoldaten in ihrer grauen Tarnuniform - derselben wie am Prospekt Mira -, versuchte mit ihnen ins Gespräch zu kommen, jedoch ohne Erfolg. Als einer davon ihn schließlich als Einauge bezeichnete - was nicht fair war, denn das linke Auge tat zwar noch höllisch weh, begann sich aber bereits wieder zu öffnen - und ihm empfahl, Leine zu ziehen, ließ Artjom diese fruchtlosen Bemühungen sein und hielt nach besonders finsteren und verdächtigen Personen Ausschau, Waffen- oder Drogenhändlern, kurz: all jenen, die sich vielleicht mit Schmuggel auskannten. Doch niemand war bereit, Artjom gegen sein Gewehr und seine Lampe zur Hanse hinüberzuschleusen.
Als es Abend wurde, saß er schließlich in stiller Verzweiflung auf dem Boden herum und quälte sich mit Selbstvorwürfen. Allmählich kam Leben in den langen Gang, die Erwachsenen kehrten von der Arbeit zurück, aßen mit ihren Familien, die Kinder spielten noch ein wenig, ehe sie ins Bett gebracht wurden, und als die Tore zugesperrt wurden, kamen alle aus ihren Zelten heraus und versammelten sich an der Rennbahn. Es waren mindestens dreihundert Menschen. Man
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