Metro2033
damals also von einem krummen Seitenpfad auf seinen eigentlichen Weg zurückgekehrt? Hatte er sich wieder in den Handlungsablauf seines Lebens eingefügt und dabei die Realität so gravierend verzerrt - oder besser: korrigiert -, damit sich seine Schicksalslinie ungehindert weiterentwickeln konnte?
Wenn ja, dann konnte dies nur eines bedeuten: Sobald Artjom sein Ziel aus den Augen verlor und von seinem Weg abwich, wandte sich sein Schicksal von ihm ab, der unsichtbare Schild, der ihn vor dem Tod bewahrte, zerbrach in tausend Stücke, der Ariadnefaden, den er vorsichtig in der Hand hielt, riss - und er selbst blieb allein mit der tobenden Wirklichkeit zurück, einer Wirklichkeit, die er mit seinem dreisten Angriff auf das chaotische Wesen des Seins erzürnt hatte. Vielleicht war es ja auch gar nicht möglich, dass einer, der bereits versucht hatte, das Schicksal zu betrügen, der leichtsinnig genug gewesen war, weiterzumachen, obwohl sich unheilvolle Wolken über ihm zusammenbrauten, sich nun einfach so davonstahl. Vielleicht kam er ja ungeschoren davon. Doch dann würde sein Leben wieder durchschnittlich und grau werden, niemals mehr würde etwas Ungewöhnliches, Magisches, Unerklärliches mit ihm geschehen, denn dann würde er die Handlung seines Lebens unterbrechen und den Protagonisten begraben.
Hieß dies, dass Artjom nicht nur kein Recht, sondern gar nicht mehr die Möglichkeit hatte, seinen Weg zu verlassen? Was dies sein Schicksal? Das Schicksal, an das er nicht geglaubt hatte? An das er nicht geglaubt hatte, weil er all das, was ihm widerfahren war, nicht richtig wahrgenommen hatte, die Zeichen am Wegesrand nicht hatte deuten können und die nur für ihn bestimmte Trasse für ein Wirrwarr verlassener Pfade gehalten hatte, die in verschiedene Richtungen führten?
Also war er doch auf dem richtigen Weg gewesen. Die Ereignisse seines Lebens ergaben tatsächlich eine zusammenhängende Handlung, die den menschlichen Willen und Verstand beherrschte, so dass seine Feinde erblindeten und seine Freunde sehend wurden, um ihm rechtzeitig zu Hilfe zu kommen. Eine Handlung, die gleich einer unsichtbaren Hand die Wirklichkeit so sehr steuerte, dass sich die unverbrüchlichen Gesetze der Wahrscheinlichkeit wie Plastilin formen ließen. Und wenn es wirklich so war, dann wurde die Frage nach dem Warum, auf die er früher nur mit mürrischem Schweigen und Zähneknirschen geantwortet hatte, auf einmal hinfällig. Nun würde er sich nicht mehr eingestehen müssen, dass es keine Vorhersehung gab, dass die Welt keine Gesetzmäßigkeiten und keine Gerechtigkeit kannte - der Gedanke, dass sich hier tatsächlich ein Plan abzuzeichnen schien, war einfach zu verlockend ...
»Ich kann hier nicht mehr bleiben«, sagte Artjom laut und deutlich und erhob sich. Er spürte, wie sich seine Muskeln mit neuer, pulsierender Kraft füllten. Noch einmal horchte er in sich hinein und wiederholte dann: »Ich kann nicht mehr bleiben. Ich muss gehen. Es ist meine Pflicht.«
Ohne sich noch einmal umzudrehen, sprang er auf die Gleise und ging los, hinein in die Dunkelheit. All die Ängste, die ihn zu dem Lagerfeuer getrieben hatten, waren vergessen. Die Zweifel hatten ihn verlassen, waren einer absoluten Ruhe sowie der Gewissheit gewichen, dass er nun endlich das Richtige tat. Als wäre er vom Kurs abgekommen, nun aber endlich wieder auf dem Gleis seines Schicksals gelandet. Die Schwellen, über die er lief, zogen nun wie von selbst unter ihm hinweg, ohne dass es ihn besondere Mühe kostete. Nach wenigen Augenblicken war er schon in der Finsternis verschwunden.
Sergej Andrejewitsch zog erneut an der Wasserpfeife. »Schöne Theorie, nicht wahr?«
»Man könnte meinen, du glaubst selbst daran«, brummte Jewgeni Dmitrijewitsch, während er die Katze hinter den Ohren kraulte.
12
DIE POLIS
Es blieb nur noch ein Tunnel. Nur ein Tunnel, und Artjom würde das Ziel, das ihm Hunter gesetzt und das er hartnäckig und verzweifelt gesucht hatte, endlich erreichen. Zwei, vielleicht drei Kilometer trockenen und ruhigen Weges, und er war dort, an der Borowizkaja. Artjom stellte sich keine Fragen mehr. Sein Kopf war fast genauso leer und tönend wie der Tunnel selbst. Noch vierzig Minuten. Vierzig Minuten, und seine Reise war zu Ende.
Er war sich gar nicht bewusst, dass er durch absolute Dunkelheit ging. Seine Beine liefen mit traumwandlerischer Sicherheit von Schwelle zu Schwelle. Er dachte nicht mehr daran, welche Gefahren er durchgestanden hatte, dass er
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