Metro2033
Menschen haben der Welt mehr Schaden zugefügt als alle anderen zusammen. Sie haben jene Maschinen losgeschickt, die die Erde und fast das ganze Leben darauf verbrannt und vernichtet haben. Der Große Wurm vergibt vielen, die in die Irre geraten sind. Doch diejenigen, die den Befehl gaben, die Welt zu zerstören und darin den Tod zu säen, und jene, die diesen Befehl ausgeführt haben, können von ihm keine Gnade erwarten.« Wieder klang die Stimme des Alten metallisch und unerbittlich. »Dein Vater hat dem Großen Wurm unerträglichen Schmerz zugefügt. Dein Vater hat mit seinen eigenen Händen unsere Welt zerstört. Weißt du, was er dafür verdient?«
»Den Tod?«, fragte der Junge unsicher. Sein Blick irrte zwischen dem Priester und seinem Vater, der noch immer zusammengekrümmt auf dem Boden des Käfigs lag, hin und her.
»Den Tod«, bekräftigte der Priester. »Er muss sterben. Je früher die bösen Menschen sterben, die dem Großen Wurm Schmerzen zugefügt haben, desto eher wird seine Verheißung in Erfüllung gehen, und die Welt wird auferstehen und den guten Menschen gehören.«
»Dann muss Papa sterben!«
»Bravo!« Der Alte strich dem Jungen zärtlich über den Kopf. »Und jetzt lauf und spiel weiter mit Onkel Wartan und den anderen Kindern. Aber sei vorsichtig in der Dunkelheit, fall nicht hin! Dron, begleite ihn, ich bleibe hier noch etwas sitzen. Komm in einer halben Stunde mit den anderen zurück, und bringt die Säcke mit, wir werden sie zubereiten.«
Das Licht erlosch. Bald darauf verklangen die schlurfenden Schritte des Wilden und das leichte Tappen der Kinderfüße in der Ferne. Dann räusperte sich der Priester und sagte: »Ich will mich mit dir ein wenig unterhalten, wenn du nichts dagegen hast. Normalerweise machen wir keine Gefangenen, nur die Kinder, denn unsere eigenen sind schon von Geburt an schwach und krank. Die Erwachsenen schaffen sie meistens betäubt heran. Ich würde gerne noch mit ihnen sprechen, und sie selbst hätten wohl auch nichts dagegen, aber leider werden sie oft zu früh gegessen.«
»Aber Sie bringen ihnen doch bei, dass es schlecht ist, andere Menschen zu essen«, sagte Artjom. »Dass der Wurm dann weint und so weiter.«
»Nun, wie soll ich sagen ... Das ist für die Zukunft. Ihr beide werdet diesen Moment natürlich nicht mehr erleben, und auch ich nicht. Aber wir legen jetzt die Grundlage für die Zivilisation der Zukunft, die im Frieden mit der Natur leben wird. Für sie ist der Kannibalismus ein notwendiges Übel. Verstehst du, ohne tierisches Eiweiß kommen wir nicht weit. Aber die Überlieferung bleibt bestehen, und sobald sie ihresgleichen nicht mehr unbedingt töten und auffressen müssen, werden sie damit aufhören. Und dann wird der Große Wurm sich in Erinnerung bringen. Schade nur, dass ich diese herrliche Zeit nicht mehr erleben werde ...« Der Alte lachte wieder sein unangenehmes Lachen.
»Wissen Sie, ich habe schon ziemlich viel in der Metro erlebt. An einer Station graben sie nach dem Höllentor, an einer anderen sagen sie, dass die letzte Schlacht zwischen Gut und Böse bereits geschlagen ist und die Überlebenden ins Reich Gottes kommen werden. Nach all dem klingt die Geschichte mit dem Wurm nicht gerade überzeugend. Glauben Sie denn überhaupt selbst daran?«
Der Alte verzog den Mund. »Was macht es für einen Unterschied, ob ich oder die anderen Priester daran glauben? Du hast ohnehin nur noch ein paar Stunden zu leben. Ich erzähle dir jetzt mal was. Man ist ja zu niemandem so offen wie zu einem, der die Enthüllungen demnächst mit ins Grab nimmt ... Woran ich glaube, hat keine Bedeutung. Wichtig ist, woran die Menschen glauben. Es ist nicht leicht, an einen Gott zu glauben, den du selbst erschaffen hast ...« Der Priester dachte kurz nach, dann fuhr er fort: »Wie soll ich dir das erklären? Ich habe seinerzeit Philosophie und Psychologie studiert, obwohl dir das kaum etwas sagen wird. Einer meiner Professoren unterrichtete kognitive Psychologie. Ein äußerst kluger Mann. Er konnte den gesamten Denkprozess bis ins Detail analysieren - eine höchst interessante Vorlesung. Wie wohl jeder in diesem Alter stellte ich mir damals die Frage, ob es Gott gibt. Ich las verschiedene Bücher, saß bis in die Morgenstunden in der Küche, diskutierte darüber ... na ja, wie das eben so ist. Ich war eher der Meinung, dass es ihn nicht gibt. Und irgendwie war ich überzeugt, dass mir nur jener Professor - ein großer Kenner der menschlichen Seele - auf
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