Metro2033
Etwas stimmte hier nicht, entsprach nicht dem, was Artjom von Rolltreppen wusste, woran er sich erinnerte. Er spürte es, doch des Rätsels Lösung bekam er einfach nicht zu fassen.
Es war Ulman, der ihm auf die Sprünge half. »Hörst du, wie leise? Da ist kein Motor, der sie antreibt... Die Maschine steht jedenfalls still.«
Natürlich, genau das war es! Das Quietschen der Stufen und das Knirschen der ungeschmierten Zahnräder waren die einzigen Geräusche, die die Anlage von sich gab. Die einzigen? Jetzt hörte Artjom es wieder: jenes widerliche Gluckern und Schmatzen, das ihnen bereits im Tunnel aufgefallen war. Die Geräusche kamen von unten, von dort, wo die Treppen hinführten. Er nahm all seinen Mut zusammen, trat an den Rand und leuchtete in den schrägen Tunnel, durch den das schwarzbraune Band der Stufen immer schneller hinabkroch.
Für einen Augenblick glaubte er, dass sich ihm das Geheimnis des Kremls offenbarte. Er sah, wie durch die Spalten zwischen den Stufen etwas dreckig Braunes, Öliges, Fließendes und eindeutig Lebendiges hervortrat. Mit leichtem Plätschern floss es heraus und hob und senkte sich synchron auf der ganzen Länge der Treppe, so weit sie Artjom überblicken konnte. Doch war das nicht einfach ein sinnloses Pulsieren. Dieses Wogen war zweifelsohne Teil eines gigantischen Ganzen, das mit großer Kraft die Stufen bewegte. Irgendwo ganz unten, in Dutzenden Metern Tiefe, verteilte sich dieses schmutzig-ölige Etwas über den Boden, schäumte und blies sich auf, floss und zuckte hin und her, wodurch die seltsamen, widerlichen Geräusche entstanden. Der Rundbogen erschien Artjom nun wie das Maul eines Ungeheuers, das Gewölbe des Treppentunnels wie der Rachen und die Stufen wie die gierige Zunge einer furchterregenden, uralten Gottheit, die sie, die Neuankömmlinge, aus Versehen geweckt hatten.
Und dann war es, als ob eine Hand sanft sein Bewusstsein berührte. Sein Kopf wurde mit einem Schlag so leer wie der Tunnel, durch den sie gerade gegangen waren. Und er wollte nur noch eines: die Stufen betreten und ohne Hast hinunterfahren, wo er endlich Frieden und die Antwort auf all seine Fragen finden würde. Wieder flammten vor ihm die Sterne des Kremls auf.
Ein Handschuh peitschte über seine Wange, dass die Haut brannte. »Artjom! Lauf!«
Er fuhr auf und erstarrte vor Schreck: Die braune Brühe kam tatsächlich den Tunnel hochgekrochen. Mit jedem Moment schwoll sie an, wuchs und schäumte wie überkochende Schweinemilch. Artjoms Beine gehorchten ihm nicht. Für einen kurzen Augenblick hatten die unsichtbaren Fühler seinen Verstand freigelassen - doch nun packten sie ihn erneut und zogen ihn zurück in die Düsternis.
»Zieh ihn mit!«
»Zuerst den Jungen. Hör schon auf zu weinen ...« »Mann, ist der schwer. Und da ist noch der Verletzte ...« »Lass die Trage! Was willst du mit der Trage?« »Warte, ich komm rauf, zu zweit geht's leichter.« »Die Hand, gib mir die Hand! Jetzt mach schon!« »Heilige Mutter Gottes ... Es ist schon draußen ...« »Zieh fest... Schau nicht, schau nicht dorthin! Hörst du?« »Scheuer ihm eine! So!« »Zu mir! Das ist ein Befehl! Oder ich schieße!«
Seltsame Bilder zogen an Artjom vorbei: die grüne, mit Nieten übersäte Seitenwand eines Waggons, die auf dem Kopf stehende Saaldecke, dann der verdreckte Boden ... Dunkelheit ... Wieder die grüne Panzerhaut ... Dann hörte die Welt zu schwanken auf, beruhigte sich und erstarrte. Artjom richtete sich auf und sah sich um. Sie saßen im Kreis auf dem Dach des gepanzerten Zuges. Alle Taschenlampen waren ausgeschaltet, nur eine ganz kleine lag in der Mitte und leuchtete. Ihr Licht reichte nicht aus, um zu erkennen, was im Saal vor sich ging, doch Artjom hörte, wie es von allen Seiten gluckste, blubberte und rauschte.
Und wieder streckte jemand vorsichtig, gleichsam tastend, seine Fühler nach seinem Bewusstsein aus, aber diesmal schüttelte er den Kopf, und die Illusion verschwand.
Er blickte sich um, zählte mechanisch die Männer, die auf dem Dach kauerten. Es waren fünf, nicht gezählt Anton, der noch immer nicht zu sich gekommen war, und dessen Sohn. Dumpf stellte Artjom fest, dass einer der Kämpfer fehlte, dann erstarrten seine Gedanken wieder. Doch sobald es in seinem Kopf leer wurde, begann sein Verstand aufs Neue in den trüben Strudel hinabzugleiten. Es war schwer, alleine dagegen anzukämpfen. Als er sich einen Moment lang dessen bewusst wurde, ergriff er diesen Gedanken und versuchte ihn
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