Metropolis brennt
fünf Minuten vor Beginn der Nachrichtensendung wurde sie täglich vom Zentralcomputer der City aktiviert.
„Ist es schon wieder soweit?“ stöhnte Lothar Hellmann und sah von seinem Buch auf. „Immer diese Störungen! Kann denn dieses Mistding nicht einmal für einen Abend abgeschaltet bleiben?“ Die Frage war rein rhetorisch, denn er wußte, daß er darauf keine Antwort bekommen würde.
Hellmann war Leiter der Straßenreinigung im nördlichen Stadtbezirk; ein hochgewachsener, breitschultriger Mann von 45 Jahren, dessen Haarwuchs sich bereits stark gelichtet hatte. Auf einer seiner routinemäßigen Inspektionen durch den Nordbezirk hatte er inmitten von allerlei am Straßenrand abgestelltem Gerumpel das Buch entdeckt.
Ein Buch!
Wie lange hatte er kein Buch mehr gesehen? In seiner Kindheit hatte es neben den Lernkassetten und hektographierten Aufgabenblättern auch Kladden für das Lehrpersonal gegeben – buchähnliche Kompendien, in denen die Lösungsvorschläge für die gestellten Aufgaben gesammelt waren. Und dann, er erinnerte sich noch gut daran, hatte er einige wenige Male ein Buch bei seinen Eltern bemerkt, sein Vater hatte es immer „das Heilige Buch“ genannt. Als Kind hatte er es nie in die Hand nehmen dürfen, denn es handelte sich um ein altes Stück – mit Goldschnitt und einem eingebundenen grünen Bändchen, das zur Seitenmarkierung diente. Und als er größer war, da war das Buch auf einmal verschwunden gewesen.
Laut Dienstvorschrift hätte Hellmann das gefundene Buch sofort abliefern müssen, hätte es eigentlich noch nicht einmal aufschlagen dürfen, denn Wertgegenstände – und nach dem Erlaß war jedes Buch ein Wertgegenstand – mußten unverzüglich weitergeleitet werden. Aber er hatte nicht widerstehen können und sich noch auf der Straße, zwischen all dem Unrat, gleich auf den ersten Seiten festgelesen.
Lesen und Schreiben konnte er, auch wenn dies in der Schule nicht besonders gepflegt worden war; das Beherrschen der Schablonenarbeit und das Bedienen der Minicomputer war, auch bei der Notengebung, immer als höherwertig angesehen worden. Ihm aber war, im Gegensatz zu vielen Klassenkameraden, das Lesen immer leichtgefallen, und er hatte Spaß daran gefunden, im Verfolgen der Sätze neue Welten zu entdecken.
So hatte ihn auch das gefundene Buch sofort gefesselt; „Roman“ stand unter der Titelzeile, die „Nana“ lautete. Und als Autor war ein Emile Zola angegeben.
Hellmann war heftig zusammengefahren, als ihm plötzlich bewußt wurde, daß ihn jemand bei diesem nicht genehmigten Tun beobachten könnte. Wenn jemand etwas gesehen haben sollte, dann war es jetzt zu spät.
Trotzig hatte er das Buch in der Brusttasche seines Arbeitsanzuges verborgen, hatte es während des ganzen Dienstes bei sich getragen und schließlich mit nach Hause gebracht. Er wollte es am nächsten Tag abgeben. Unter den mißbilligenden Blicken seiner Frau Luise, einer bereits verblühten Blondine, die etwas jünger war als er selbst und nichts lieber hatte als ihre Ruhe, hatte er noch vor dem Abendessen seine Lektüre fortgesetzt.
„Du weißt, daß es zu den festen Regeln der Gemeinschaft gehört, daß alle die Nachrichten vom Tage sehen“, bemerkte Luise, noch mit dem Abwasch in der Kochnische beschäftigt, etwas spitz. „Oder willst du auffallen, wenn die Nachrichtenkontrolleure kommen?“
„Das fehlte noch, lieber nicht!“ Lothar Hellmann mußte seiner Frau recht geben. Die Stadtregierung achtete genauestens darauf, daß das Nachrichtenangebot von allen Angehörigen der City-Gemeinschaft auch wahrgenommen wurde. Ab und an stand dann
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