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Metropolis brennt

Metropolis brennt

Titel: Metropolis brennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Alpers
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be­vor­zug­te Stra­ßen säum­ten …
    Er sah den Wald, woll­te nichts als den Wald se­hen. Die ho­hen, schmut­zig­brau­nen Baum­stäm­me wa­ren über­zu­ckert, glit­zernd fei­ne, bi­zar­re Kris­tal­le, Schnee­kru­men, zo­gen sich wie Pa­ra­si­ten die bor­ki­ge Rin­de em­por, an der Wet­ter­sei­te mehr, an den an­de­ren Sei­ten we­ni­ger, hier und dort über­haupt nicht. Nack­te Rin­de, blo­ße Rin­de, kränk­lich ver­färb­te Rin­de. Schwer neig­ten sich die Äs­te, ver­klumpt wa­ren Tan­nen­na­deln, ver­steckt ihr gift­gel­bes, trau­ri­ges Nor­mal- und Ster­be­kleid, ver­ges­sen der bei­zen­de Säu­re­re­gen­nie­der­schlag vor dem Ein­bruch des Win­ters.
    Weiß, weiß, weiß …
    Zau­ber­weiß.
    Ein Bal­da­chin aus Zau­ber­weiß, flüs­ter­ten ihm sei­ne durch die bei­den Pil­len ver­gif­te­ten Sin­ne zu, Zau­ber­weiß rings um sie her und über ih­nen: bi­zar­re For­men, ver­krüp­pel­te Hän­de, die zu­ein­an­der hintas­te­ten, sich je­doch nie­mals – nie­mals – er­rei­chen wür­den. Ar­me, Bei­ne, Ge­sich­ter, Haa­re, Ner­ven, die sich ver­äs­tel­ten. Klum­pi­ges Weiß, fros­ti­ge Käl­te, ei­ne Mi­schung aus ver­schnei­tem Wun­der­werk und bloß­lie­gen­den, fau­len Kör­per­stel­len. Wie die Fre­aks.
    Der Bo­den tief ver­schneit. Der Bo­den nackt und er­bärm­lich.
    Un­re­gel­mä­ßig ge­wellt die De­cke hier, ver­schorft wie ein ei­tern­der Aus­schlag dort. Der klei­ne Was­ser­tüm­pel in ei­ner klei­nen Mul­de im Wald zu­ge­fro­ren, Spin­nen­mus­ter auf dem Eis, dort, wo es blank lag, wo der Schnee von den ei­si­gen, jä­hen Böen der Win­ter­win­de hoch­ge­wir­belt, durch­ge­peitscht, da­von­ge­fegt wor­den war.
    Käl­te, Käl­te.
    Vor dem Mund wat­ti­ges, ge­spens­ti­sches Weiß. Atem­fah­nen. Die Käl­te biß in die Haut, si­cker­te in sie ein, wie die Ge­füh­le des Mäd­chens in sei­nen Schä­del ein­si­cker­ten, zir­ku­lier­te in sei­nem Kör­per.
    Gras­hal­me durch­sta­chen die Schnee­de­cke. Schräg durch den Äs­te/Zwei­ge/Schnee-Bal­da­chin ein­fal­len­de Son­nen­strah­len zau­ber­ten neue Farb­schat­ten: Grell­sil­ber, Dumpf­braun, Hell­grün, Weiß­braun, Zart­scho­ko­la­de. Minz­far­ben und schwar­ze und zart­graue Schat­ten.
    Und Stil­le.
    Vharn haß­te die Pil­len, die für die­se grau­sa­men Ein­drücke/Bil­der sorg­ten. Er haß­te sie, haß­te sie …
    Wie­der blitz­te die Er­in­ne­rung an sein ers­tes Tref­fen mit Mir­ja auf. Sie kau­er­te vor ihm, rich­te­te den Pro­grav. Er starr­te auf sie hin­un­ter, un­fä­hig, sich zu be­we­gen. Die Schmer­zen wa­ren; wie grel­le Feu­er­spi­ra­len in sei­nem Kör­per.
    „Warum tust du das?“ Atem­ho­len. Schmer­zen. Dann: „Warum bist du bei den Stree­ters? Du machst dich un­be­liebt.“
    Sie schau­te auf, warf ih­re lan­gen, sam­ti­gen Haar­sträh­nen in ei­ner ener­gi­schen Ges­te zu­rück. „Man macht sich auch un­be­liebt, wenn man an De­mons­tra­tio­nen teil­nimmt. Ich neh­me trotz­dem dar­an teil.
    Es ist ein Grund­recht. Noch.“ Sie lä­chel­te ihn an. „Soll ich et­wa vor der Zu­kunft Angst ha­ben? Wenn wir – wir al­le – nur brav die Hän­de in den Schoß le­gen und geil da­nach be­strebt sind, uns nicht un­be­liebt zu ma­chen, dann wer­den wir kei­ne Zu­kunft mehr ha­ben.“ Ihr Lä­cheln ver­brei­te­te sich. „Und an ein be­schau­li­ches Rent­ner­da­sein will ich heu­te so­wie­so noch gar nicht den­ken.“
    Da­mals hat­te er sie nicht ver­stan­den. War das ei­ne Ant­wort auf sei­ne Fra­ge? Er muß­te dar­über nach­den­ken. Und er muß­te Mir­ja wie­der­se­hen.
    Jetzt, in der Stil­le des to­ten Wal­des, glaub­te er, sie zu ver­ste­hen.
    Er lausch­te in der Stil­le, lausch­te so in­ten­siv, daß er sich ver­krampf­te, daß sich sei­ne Hän­de hart um die Reg­ler klam­mer­ten, sich dar­an fest­krall­ten, daß sein Atem un­re­gel­mä­ßig ging, daß er den sil­ber­hel­len Strom ih­rer Ge­füh­le kaum mehr wahr­neh­men konn­te.
    Nichts.
    Ihr Atem: gleich­mä­ßig, be­ru­hi­gend, weil er ihm zeig­te, daß er nicht al­lein war, daß sie bei ihm war und daß sie bei­de nicht in den Slums wa­ren. Die Ge­räusche ih­rer Schrit­te –

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