Metropolis brennt
durchschauen wollte, aber später. Wieder im SAfCF. Ich habe die Anweisungen befolgt, ich habe die richtigen Erlebnispillen genommen – trotzdem. Ich konnte das Wissen nicht mehr ausschalten, daß ich eben nur Visionen gesehen habe. Es hat mich gequält. Wenn ich mir jetzt vorstelle, daß irgendwann auch die Bäume … der ganze Wald Visionen sein sollen …“
Er warf zynisch ein: „Vielleicht lernen eure Volksvertreter eines Tages daraus. Und vernichten die Informationen über den Wald und seine Tiere oder nehmen sie unter Verschluß. Entsprechende Vorstöße hat es immerhin schon gegeben.“
„Du meinst, sie wollen versuchen, den Leuten weiszumachen, hier im Wald gäbe es noch richtige Tiere?“
„Irgendwann wird es vergessen sein, daß es anders ist.“ Er zuckte mit den Schultern; eine lakonische Geste. „Irgendwann werden die Leute dann auch vergessen haben, daß dort keine richtigen, keine echten Bäume mehr stehen. Sie werden es vergessen, weil sie es höchstwahrscheinlich vergessen wollen. Weil es sie genauso quält, wie dich die Tatsache quält, daß es hier keine echten Tiere mehr gibt.“
Sie schüttelte nachdenklich den Kopf. „Trotzdem. Heute wissen es die Leute, und sie kommen hierher und nehmen ihre Pillen. Sicher geht es vielen wie mir. Die Pillen können die Wirklichkeit nicht völlig verdrängen. Dennoch kommen sie immer wieder. Ich glaube, sie werden darum kämpfen. Auch eine Hammelherde läßt sich nicht alles gefallen. Und unsere Volksvertreter sind schließlich von dieser Hammelherde gewählt worden.“
„Außer Arbeit und Existenzangst und Fußball ist ihnen ja sonst nur noch der Wald und der Dienst an der Gesellschaft geblieben. Und immer nur in Kneipen herumhängen oder Kaufhausspaziergänge machen, damit die Wirtschaft floriert, das ist schließlich auch nicht das Gelbe vom Ei“, versetzte Vharn sarkastisch.
Als sie nichts darauf erwiderte, sondierte er sie kurz, stellte fest, daß das Düsterrot nicht aus ihren Gefühlen verschwand, spürte ihre Unruhe, ihre Pein und das Auf und Ab in ihrem Innenleben, das von den Pillen hervorgerufen war.
Er wußte, daß sie jetzt nicht mehr reden wollte, und akzeptierte es. Wenn sie beide Pech hatten, dann würden bald die Jäger kommen, und dann war es sowieso vorbei mit Nachdenken und Reden.
Aber sie hatte recht: In dieser Umgebung war Stille angebracht. Er war zum ersten Mal im Wald. Als Freak hätte er niemals einen Berechtigungsschein erhalten. Die Slums den Freaks, die Stadt und ihr Stadtwald den Normalen. Die Ehrfurcht, die er vorhin als Ausrede mißbraucht, vielleicht sogar geschändet hatte, war trotz allem ein treffender Begriff für dieses von Bastard-Weiß überzogene Ganze.
Sie schritt schneller aus, und er glich seine Geschwindigkeit an. Er wollte an ihrer Seite bleiben, wollte ihre Nähe fühlen, wollte sich wohl fühlen.
Mit Mirja war er nicht einsam. Nicht einmal in diesem toten, weißen Wald.
Sie hatte ihn nicht danach gefragt, vorhin. Sein Schweigen war ihr nicht aufgefallen, sie hatte nicht nachgehakt, denn sie war zu sehr mit ihrem eigenen Erleben beschäftigt. Er haßte die Pillen, weil sie einen verrückt machten, aber dieses Mal war es besser so. Er hatte sich verraten, hatte sich durch sein Kommentarlosbleiben entblößt, hatte ein Ziel geboten, das er nicht bieten wollte. Am wenigsten ihr.
Kein Nachhaken, keine Schmerzen, kein sich Winden, kein Ausweichen.
Kein Mitleid.
Mirja war nicht einsam, sie glaubte an das, was sie gesagt hatte, empfand es genauso, sie log nicht: Sie hatte ihre Freunde von den Streeters, Ausgestoßene wie sie selbst, sie hatte ihn, sie hatte ihre Arbeit, ihre Ideale, ihre Ansichten, für die sie eintrat. Und er war mit ihr nicht ganz
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