Metropolis brennt
wollten der Welt – oder dem, was davon übriggeblieben war – zeigen, wie es denen ergeht, die sich die Frechheit herausnehmen, gegen die stupiden Pläne ihrer Chefs zu sein. Es muß mit dem Teufel zugegangen sein, daß ich aus dieser brennenden Hölle herauskam. Neben mir explodierten Granaten und stürzten Häuser ein. Alles war voller Rauchwolken. Es regnete Asche vom Himmel. Die Luft war voll von dreckigem Staub und machte das Atmen zur Qual. Ich verlor die anderen aus den Augen. Ich schaffte es, Van Damm; irgendwie kam ich durch. Ich floh aus Nordrhein, ging aufs Land, führte ein paar Scharfschützen an der Nase herum, robbte bei Nacht durch das Rheinbecken, verkroch mich in einer alten Hausruine, lebte von Gras und Wasser aus einem Ziehbrunnen und stieß später auf eine Zigeunersippe, die ziemlich erstaunt war, weil sie seit einem Jahrzehnt keinen Städter mehr gesehen hatte. Sie waren verblüfft, als sie hörten, daß es im Rheintal noch eine bewohnte Stadt gibt, aber sie nahmen mich bei sich auf, heilten, kleideten und fütterten mich und nahmen mich mit in ein Land, das, glaube ich, einmal Normandie geheißen hat; ein Land, das von der Katastrophe zwar nicht verschont geblieben ist, aber nur wenig industrialisiert und nur dünn besiedelt war, als die ganze radioaktive Scheiße, die sie damals in die Erde eingelagert haben, wieder nach oben kam.
Langsam erholte ich mich wieder, Van Damm. Ich führte ein Zigeunerleben und versuchte die Vergangenheit zu vergessen. Es wäre mir beinahe auch gelungen, aber zwölf Jahre später holte sie mich in Gestalt eines schiefzahnigen und schielenden Mädchens ein, das ebenfalls aus Nordrhein stammte. Sie sprach mit mir über unsere wilden Tage. Sie erzählte, daß es in Nordrhein immer noch Gruppierungen gäbe, die den Ledermännern zusetzten. Sie sagte, es sei eine neue Generation herangewachsen.
Ich weiß, Van Damm, es war heller Wahnsinn. Ich hätte besser bei Mutter Grün bleiben und weiterhin Körbe flechten sollen – aber irgendwie kam ich mir plötzlich wie ein Deserteur vor. Ich schlich mich eines Nachts wie ein Dieb davon, besorgte mir eine neue Knarre und kehrte schließlich wieder in die Große Welt zurück. Ich stellte fest, daß die Nachgewachsenen sich mit größerem Erfolg bemühten, den Ledermännern eins über ihre kahlrasierten Schädel zu ziehen. Sie waren wie ein Hornissenschwarm, der blitzschnell zuschlug. Sie waren ganz anders als wir.
Niemand konnte sie erkennen. Sie waren eine anonyme Macht. Sie trugen das Haar kurz geschnitten, hatten weiße Hemden an und gingen tagsüber irgendwelchen Bürojobs nach. Sie kannten den Terror von Kindesbeinen an, sie waren mit ihm groß geworden. Sie kennen gar nichts anderes, deswegen haben sie auch keine Angst. Sie sind perfekte Killer, die sich einen Sport daraus machen, den Ledermännern aus dem Nichts heraus eines überzubraten. Und anschließend verschwinden sie dann wieder in der Anonymität der Büroetagen.
Aber sie gefallen mir trotzdem nicht, Van Damm, denn sie haben keine Ziele und kämpfen für nichts. Es interessiert sie zum Beispiel nicht die Bohne, was die Chefs der Ledermänner machen. Es ist ihnen völlig schnuppe. Sie wissen nicht mal, was das ist, was da seit zwanzig Jahren wieder in den Salzbergwerken eingelagert wird. Die Maschinerie hat sich auf makabre Weise verselbständigt, alter Junge. Diese jungen Leute sind kalt und herzlos und verächtlich. Sie haben Respekt vor nichts und niemandem und können sich schon gar nicht mehr vorstellen, wie es war, als man in der Nacht den Mond noch sehen und auf der Ruhr Boot fahren konnte. Was interessiert sie der Mond?
Es sind nur wenige, aber sie werden immer mehr und gehen ziemlich gerissen vor. Sie sind kaltblütig und lieben das Leben nicht, Van Damm; was, wie ich glaube, damit zu tun hat, daß sie keine Phantasie und keine Träume mehr haben und niemand ihnen gesagt hat, was das Leben eigentlich ist.
Der Sinn des Lebens ist das Leben selbst, meine ich, aber wenn das, was heutzutage Leben heißt, das einzig wirkliche Leben sein soll …
Diese geschniegelten jungen Leute sind Draufgängertypen, Van Damm. Sie halten sich für die letzten Helden des chemisch-nuklearen Zeitalters. Sie sind Kinder der Nacht; schieß wütige, tagsüber nette Leute mit gescheiteltem Haar, die sich auf Partys treffen, schicke Kleider tragen und nach jedem geglückten Coup eine Orgie veranstalten, um die aufgestaute Spannung loszuwerden. Sie behandelten mich wie
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