Metropolis brennt
Rüschenausschnitt im Glitzerkleid der Wettermaid und wartet ungeduldig darauf, daß endlich Hitze und Sonnenschein vorhergesagt werden. Denn ab dreißig Grad legt die ondulierte Dame einer alten Tradition folgend sämtliche Hüllen ab und preist lasziv und erotisch mit den Hinterbacken wackelnd Dr. Knöters Moschusdeo für die schönsten Stunden zu zweit an.
„Scheißapparat“, beschwert sich Gorch nörglerisch. Gorch wohnt nebenan in der alten Öltonne mit dem ausgefransten Bambusvorhang und der verblaßten Ewo-Signatur und betrachtet Muhns rosiges Pfaffengesicht voll erprobtem Argwohn. „Nich mal Riechsensos hat der Dreckskasten. Mansch, wo gibt’s denn so was? Wie soll ich denn wissen, ob ich mir dieses phantastische, preiswerte und garantiert verführerische Deo kaufen soll, wo ich’s nich mal riechen kann? Das ist doch’n harter Schlag für die ganze Werbebranche.“
„So liegen die Dinge eben.“ Tod scheint Dr. Knöters Moschusdeo schnurz zu sein. Seine Gleichgültigkeit ist nicht gespielt. Er kratzt die rosabehaarte Brust und läßt sich von Winter über das Treiben der Marodeure in Süddeutschland informieren. Die Welt steckt voller Gefahren, und will man überleben, muß man über ein gut ausgebautes Vorwarnsystem verfügen. „Außerdem kaufst du dir sowieso nicht Dr. Knöters Stinkzeug. Das gibt’s nämlich nur hinter der Mauer bei den feinen Pinkeln.“
Gorch spuckt bezeichnend aus. „Mir geht’s nich um das eklige Deo“, sagte er würdevoll. „Mir geht’s um die Riechsensos. Wenigstens riechen will ich was.“
„Auf der Halde gab’s eben kein Video mit Riechsensos.“ Pike ist beleidigt. Schließlich – was kann sie dafür? Und überhaupt! „Auf der Halde gibt’s die noch nicht. Die sind noch zu neu. Frühestens in drei Monaten oder was schmeißen die feinen Pinkel die ersten Videos mit Riechsensos weg. Das weiß doch jeder hier unten im Tal, daß bei uns der Wohlstand erst mit Verspätung zuschlägt.“ Pike streicht mit der flachen Hand über das gurkenförmige Haarbüschel, das auf ihrem ansonsten ganz und gar kahlen und buttergelb lackiertem Schädel wuchert, zieht die unbestrumpften, doch zweifellos entzückenden Jungmädchenbeine an und sieht dann wieder zum Video, wo das elektronische Thermometer der Wetterkarte bei neunundzwanzig Grad Celsius zum Still stand kommt. „Keine Show für heute“, seufzt sie enttäuscht. „Dabei hat die so hübsche Titten, diese Wettermaid.“
„Das“, nickt Tod ergrimmt, „wird dem Absatz von Dr. Knöters Moschusdeo einen ganz gewaltigen Drall nach unten geben. Wenn’s keine Show gibt, schließ ich mich Gorch an und kauf auch kein Deo. Nicht eine einzige Flasche.“
Gorch ist natürlich ebenfalls sauer. „Man müßte denen ’nen Brief schreiben, ’nen gesalzenen Beschwerdebrief, damit denen mal glasklar wird, was für ’ne himmelschreiende Schweinerei die sich da leisten. Vielleicht is das Thermo auch getürkt. Vielleicht wollen die der Maid nur kein Striphonorar auszahlen und halten künstlich die Temperatur niedrig. Und, Mansch, morgen wird’s trotzdem tierisch heiß. Ich trau denen alles zu. Alles. Selbst so was.“
Die Wetterkarte wird ausgeblendet und, Gottfried ‚Jahwe’ Muhn und S. S. Winter lächeln jovial und mit blitzblanken Plastikgebissen die Millionen TV-Narren an. Es ist ein offenes Geheimnis, daß die meisten Gebührenzahler und alle Schwarzseher seit Jahren nur auf eine Panne warten; darauf, daß das Studio in die Luft gejagt wird oder Muhn die Maßhose verliert und seinen halbtransparenten Minislip entblößt. Jedoch teutonische Gründlichkeit und schlechte Erfahrungen mit sensationslüsternen Zuschauern haben einen derartigen Skandal bislang verhindert. Ein Zustand, der – wie Tod nicht nur einmal prophezeite – einfach unhaltbar ist und der früher oder später weitreichende gesellschaftliche Auswirkungen haben wird.
Tod greift während der kurzen Pause, die im Besitz der Werbeleute ist und mit Spots für Hundekuchen, Kachelbodenpflegemittel und biologisch-dynamische Seife ausgefüllt wird, hinter sich in das Bierfaß und tastet nach dem Tabaksbeutel. Vorsichtig und konzentriert dreht er eine Zigarette und achtet sorgsam darauf, daß nicht ein einziger Krümel verlorengeht. Seitdem ständig mit einem erneuten Auftauchen der Marodeure zu rechnen ist und die Robotkopter über den Bergen kreisen, gelangen keine frischen Tabaklieferungen ins Tal. Selbst die Dealer leben nur noch von ihren geheimen
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