Metropolis brennt
nicht einfach nur erledigen.“
Die langen Finger des Mannes spielten mit einem Filzschreiber, der auf dem Schreibtisch lag. Spinnenartig bewegten sich die Finger, liebkosten den Stift, schoben ihn über die Tischplatte, hoben ihn auf, drehten, wendeten ihn.
Und der Mann starrte Vharn an. „Aber es muß schließlich nicht immer ein physisches Erledigen sein, nicht wahr, Freak? Wie fühlst du dich? Gut? Trotz deiner fortgeschrittenen Krankheit? Obwohl du jetzt allein bist, ganz allein – wo du dich so sehr vor dem Alleinsein fürchtest, daß du es nicht einmal dir selbst gegenüber zugibst. Allein, ohne Mirja. Wo mag sie sein, die liebe, selbständige, aufopfernde Mirja? Denk darüber nach. Kein Mensch interessiert sich für sie. Du bist der Held des Tages, sie …“ Er machte eine wegwerfende Geste. „Man kann die Masse manipulieren. Es ist nicht schwer. Wir hätten sogar verhindern können, daß du zum Volkshelden wirst, Freak, aber das wollten wir gar nicht. Wenn die Menge ihren Helden hat, vergißt sie gewisse andere Dinge …“
„Der alte Bezirk des Waldes …“
„Unter anderem, ja. Ich sehe, deine Erinnerung funktioniert schon wieder. Beachtlich, wie schnell du dich erholst. Dann erinnere dich daran, daß du schuldig bist an dem, was Mirja zugestoßen ist, ganz gleich, was ihr zugestoßen ist – du bist der wahre Schuldige daran.“
Nein, dachte Vharn entsetzt. Nein. Sie wollte mitkommen. Sie hat gesagt, es bewirkt etwas, es hat einen Sinn.
„Wenn wir dich ein zweites Mal aufgreifen müssen, wenn du ein zweites Mal unangenehm auffällst, Freak“, fuhr die melodische Stimme des Arztes fort, „dann werden wir keine Rücksicht mehr auf dich nehmen. Entsprechende Vorkehrungen sind getroffen, Freak. Ein kleiner Peilsender in deinem Schädel – irgendwo, irgendwo in deinem Schädel. Wir wissen also jederzeit, wo du dich herumtreibst, und wir können dich jederzeit erledigen. Ein Knopfdruck, mehr nicht. Dein Körper hält nichts aus. Vergiß das nicht.
Und jetzt verschwinde. Viel Spaß in deinem zweiten Leben, denn es ist ein neues Leben, ein Leben, das du uns verdankst.“
„Ich habe euch auch mein erstes Leben verdankt“, sagte Vharn kalt, warf dem Mann hinter dem Schreibtisch einen mörderischen Blick zu, wandte sich ab und ging zur Tür. Das helle Neonlicht in dem Büro schmerzte in seinen Augen. Er konnte nicht mehr fühlen. Er war ausgebrannt. Leer. Nur noch eine Hülle, nur noch eine Schale. Mirja. Mirja, verdammt … Er führte diesen Gedanken nicht weiter, unterbrach ihn mit aller Gewalt, zu der er fähig war. Als er die Tür erreichte, holte ihn die Stimme des Mannes ein.
„Denk an Mirja. Denk an alles, was ich dir gesagt habe.“ Er lachte kalt. „Vielleicht sollte ich dir zum Abschied noch einen Witz erzählen, Freak. Weil du doch schließlich eine recht witzige Tat begangen hast, alles in allem gesehen. Ja, ich werde dir einen Witz erzählen, hör zu: Weißt du, weshalb die Cad-Freaks nur zwei Sarg-Träger benötigen?“
Vharn spürte eine widerwärtige Beklemmung in sich, sein Hals schien ihm zugeschnürt zu werden. Seine Rechte lag kalt und gefühllos auf dem Sensor-Öffner der Gleittür.
„Sie benötigen deshalb nur zwei Sarg-Träger, weil es noch immer keine Mülltonnen mit vier Tragegriffen gibt!“ Der Mann im weißen Kittel brüllte los vor Lachen, und Vharn würgte.
Aber er war frei. Er konnte gehen. Und er ging.
Warten
Er war kein Fühlender mehr, und er war auch kein Mensch; er war ein wandelnder Leichnam. Ein Cad-Freak.
Er kehrte in die Slums zurück, und die anderen begrüßten ihn überschwenglich, freuten sich, klatschten, jubelten, tanzten. Es war wie an einem der früheren Feiertage, damals, als sie trotz allen Widrigkeiten noch gefeiert hatten.
Aber Vharn konnte sich nicht freuen. Er war tot. Ausgebrannt. Alles umsonst. So viele Hoffnungen … Mirja … Aber er mußte auch an ihre Worte denken: Viele von den Leuten, die es so unheimlich eilig haben, Veränderungen herbeizuführen, geben am schnellsten auf, wenn die Sache nicht auf Anhieb klappt. Ja, sie hatte recht, es kam auf den langen Atem an. Hatte er ihn? Momentan hatte er ihn nicht. Er fühlte sich hundeelend, als würde das Ende des Pillenwahns von damals erst jetzt über ihn hereinbrechen, ihn Blut und Galle würgen lassen.
Vharn kehrte in sein Rattenloch in den Slums zurück, er verkroch sich, kauerte sich zusammen, wie sich damals sein Bewußtsein in seinem Schädel zusammengekauert
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