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Metropolis brennt

Metropolis brennt

Titel: Metropolis brennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Alpers
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hatte, damals, im Silbergespinst gefangen.
    Er hatte nichts erreicht. Die anderen hatten nichts erreicht. Aber sie konnten sich wenigstens freuen. Er konnte sich nicht freuen. Er bereute es nicht, in den zentralen Stadtwald eingedrungen zu sein, und der Wald blieb seine schönste Erinnerung. Er hatte den Wald gesehen, das Zwielicht, die Harmonie – aber auch den Tod des Waldes. Zusammen mit Mirja … Diese Wunde schmerzte. Aber er wußte, Mirja würde ihn einen Kindskopf nennen, könnte sie jetzt bei ihm sein. Nur ein Kampf war verloren, vorerst verloren.
    Vharn blieb in seinem Rattenloch in den Slums, auf den gigantischen Müllhalden, die die große Stadt umgaben, auf den Halden, auf denen achthunderttausend Menschen von den Abfallen einer Wegwerfgesellschaft lebten, auf denen Tag und Nacht ein furchtbarer Gestank herrschte. Er lauschte dem Jammern der Kranken und Sterbenden, die mit ihm das Rattenloch bevölkerten, lauschte dem Schreien und dem Streiten der Glas-, Altpapier- und Knochen- und Metallsammler und dem jähen, schwachen Rascheln im Dreck, dem hastigen Trippeln winziger Füße. Er fürchtete die Ratten nicht, denn es gab nicht sehr viele – die giftigen Gase, die in den Rauch- und Staubfahnen über den Slums hingen, töteten die meisten von ihnen. Und er verfolgte die Berichte über die Vorbereitungen, den alten Bezirk des Stadtwaldes abzuholzen. Diese Vorbereitungen wurden von den regierenden Vordenkern der Stadt zügig vorangetrieben.
    Die Zeit verging.
    Die Berichte erschienen zahlreicher. Unruhe entstand unter den Normalen.
    Vharn blieb in seinem Rattenloch und wartete und wartete.
    Erste Demonstrationen wurden abgehalten. Menschenmassen zogen durch die Innenstadt, friedlich, ein großer Körper, ein großer Wille: DER ALTE BEZIRK DES WALDES DARF NICHT VERNICHTET WERDEN!
    Erste Polizeieinsätze.
    Fünf Demonstranten, 16, 18, 18, 22, 43 Jahre alt, wurden getötet. Achtundfünfzig Polizisten leicht und schwer verletzt.
    Die Zeit verging.
    Der Gestank über den Müllkippen-Slums schien zuzunehmen; oder war das eine Illusion? Bildete er sich dies nur ein? Mirja … Er mußte oft an sie denken, er sah sie oft vor sich, sah sie, wie sie übermütig durch das Zauberweiß des toten Waldes floh, wie sie den Abhang hinunterkullerte, und dann hörte er wieder die Sirenen der angreifenden Jagdgleiter, sah die düsteren Schatten …
    Die Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten nahmen zu. Manche Journalisten schrieben bereits von bürgerkriegsartigen Kämpfen um den Wald. Die regierenden Vordenker der Stadt scheinen aus der Vergangenheit doch nicht allzuviel gelernt zu haben, dachte Vharn einmal, als er wieder einmal die Zeitungsberichte las. Und dann dachte er an den Mann im weißen Kittel. Du hast dich getäuscht. Sie haben nichts, überhaupt nichts dazugelernt.
    Anfangs, nachdem er aus den Stasi-Bunkern entlassen worden war, waren oft Besucher gekommen, darunter auch Journalisten. Heute, eine Ewigkeit später, kam kaum noch jemand, um nach ihm zu sehen.
    Sein Prograv war alt. Er würde nicht mehr lange funktionieren. Vielleicht hatten sie auch dafür gesorgt. Er traute es ihnen zu. Beweisen konnte er natürlich nichts. Wem auch?
    Die Schmerzen nahmen zu. Die Zeit verging. Geduldig wartete Vharn ab. Seine Zeit würde kommen.
    Die Abholzkommandos der regierenden Vordenker der Stadt besetzten den Wald. Polizeikommandos riegelten den Wald ab. Motorsägen ratterten los. Erste Bäume fielen. Gesunde und tote. Der tote Wald erwachte zu einem grausamen Scheinleben unter den hektischen Bewegungen der Abholzer und Polizisten.
    Neue Unruhen entstanden.
    Hunderttausende demonstrierten. Normale und Freaks.
    Vharn dachte: Es stimmt, die Freiheit des einzelnen muß der Kern einer jeden Revolution sein. Keine Syskonkon mehr. Keine Betonstädte mehr. Leben in den Städten – menschliches Leben, aber auch pflanzliches.
    Und als er sich am nächsten Morgen erhob und sein Rattenloch in den Slums verließ, in einen grauen, kalten Nebel-Wintermorgen hinaus, als ihm große, wattige Schneeflocken und frostigklirrende Kälte in sein knochiges Gesicht schlugen, da dachte er an seine Mutter … An jenen Tag, an dem er sie gefunden hatte.
     
    Damals war er noch ein kleiner Junge gewesen. Ein Kind. Nicht krank. Damals hatte er noch nicht einmal gewußt, was das war, die Cad-Krankheit.
    Er hatte Zeitungen ausgetragen. Dann die Heimkehr. Er war durchfroren gewesen, halb erstarrt vor Kälte. Schneestürme waren durch die

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