Mettwurst ist kein Smoothie
einziges Ziel: die vollständige Ausrottung der Menschheit.
Kaum klingle ich an ihrer Tür und erzähle ihr, dass Stefan und ich wegfahren und uns diesmal das Land XY ausgesucht haben, verzieht sie das Gesicht, greift sich ans Herz, saugt zischend Luft ein, wiederholt dann stöhnend den Namen des Landes und scheint sich innerlich für immer von uns zu verabschieden. Dann blickt sie sinister, packt meinen Arm und raunt so etwas wie: «Passt mir ja auf die Tüpfelhyänen auf!» Oder auch: «Markus, du weißt: Krokodilen
immer
mit der flachen Hand auf die Nase schlagen!» Was man halt so lernt in Tierfilmen auf RTL 2 . Oder was sie sich noch behalten hat von den Schauermärchen, die Eltern ihren Kindern früher erzählten, damit sie freiwillig vor Einbruch der Dunkelheit nach Hause kommen. Ich erinnere mich an einen Kroatienurlaub, vor dem sie mit einem besonders erschütterten Gesichtsausdruck meine Hand nahm und mit bebender Stimme verkündete: «Kroatien! Markus, da gibt es
Fledermäuse
! Die krallen sich in deinen Haaren fest und lassen sie
nie wieder
los!» Ich runzelte die Stirn. «Frau Reichardt, haben Sie mir oder Stefan in den letzten fünf Jahren unserer Nachbarschaft mal auf den Kopf geguckt?» Sie warf einen Blick auf meine kurzrasierte Fastglatze, schlug die Hand vor den Mund und flüsterte erstickt: «O Gott, dann geht’s ja direkt in die Kopfhaut!»
Schier ausgeflippt ist sie allerdings beim Thema Australien. Ich selbst hielt den Kontinent vorher für ein freundlich-harmloses Urlaubsziel. Ich weiß, das war ein bisschen naiv. Die gefährlichsten Tiere der Welt leben in Australien, aber das hatte ich irgendwie ausgeblendet. Blacky Fuchsberger fliegt da ja regelmäßig hin, außerdem hatte ich Bilder im Kopf von edlen Wilden, die am Uluru runzlige Traumschiff-Darsteller begrüßen – so schlimm konnte es doch alles nicht sein. Frau Reichardt sah das anders. Sie hatte kein einziges gefährliches Tier ausgeblendet. Die Tierwelt Australiens, das waren für sie nicht Kängurus, Wombats und Koalas, sondern Haie, Würfelquallen und Rotrückenspinnen.
Als der Abflug näher rückte, nahm sie mich ein letztes Mal ins Gebet:
«Markus, versprich mir, dass ihr euch an folgende Regeln haltet: Hebt nicht jeden Stock vom Boden auf! Es könnte eine Schlange sein!»
Ich wusste zunächst gar nicht, was ich antworten sollte. Dann fragte ich vorsichtig: «Frau Reichardt, warum sollte ich denn überhaupt Stöcke aufheben?»
«Na, das macht man doch oft! Aber in Australien ist das anders! Da denkt man, man hebt einen Stock auf, und zack, hat man einen Taipan in der Hand.»
«Frau Reichardt, ich bin 35 . Ich hebe keine Stöcke auf. Ich bin zu alt, um mir was draus zu schnitzen, und zu jung für ’ne Gehhilfe!»
«Dann ist ja gut», sagte sie. «Dasselbe gilt aber auch für Steine.»
«Steine können auch Schlangen sein?»
Sie schüttelte ungeduldig den Kopf. «Unter Steinen sitzen Skorpione! Hebt bloß keine Steine auf!»
«Okay, versprochen. Keine Stöcke, keine Steine.»
«Und bevor du morgens in deine Wanderschuhe steigst: immer erst ausschütteln. Da nisten sich schnell mal Spinnen ein.»
«Ja, aber … was ist denn, wenn ein Skorpion unterm Schuh sitzt? Da greife ich ja dann voll rein!»
Frau Reichardts Unterlippe begann zu zittern. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und sie krallte sich noch fester in meinen Arm. Ich versprach also, meine Schuhe immer erst vorsichtig umzustoßen, bevor ich sie ausschüttle, und verabschiedete mich schnell.
Und was soll ich sagen? Offenbar war meine Australien-Auffassung doch nicht so naiv: Wir haben in vier Wochen
keinen
Skorpion,
keine
Schlange und
keine
Spinne gesehen. Stattdessen knipste ich jede Menge roter, grüner und blauer Vögel.
Als wir dieses Jahr dann einen Kanada-Urlaub ins Auge fassten, wollte ich mir gar nicht vorstellen, was Frau Reichardt zu Grizzlys und Pumas zu sagen hätte, und beschloss, mir den Vortrag zu ersparen. Ich gab den Schlüssel unseren anderen Nachbarn und zog Stefan und unsere gepackten Koffer schnell an Frau Reichardts Wohnungstür vorbei.
Wenige Stunden später saßen wir im Flieger, und als ich gerade einschlafen wollte, sagte Stefan plötzlich: «Merk dir mal Folgendes: Wenn ein Rentier auf der Straße steht, nicht hupen.»
Ich schreckte auf. «Bitte?»
«Steht hier.» Stefan deutete auf das Buch, das er gerade las. «Wenn man hupt, kommen die anderen Rentiere auch noch aus dem Wald und gucken, was da los
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