Meuterei auf der Deutschland
Beitrittswellen hat sich eine Sache bei den Piraten aber bis heute kaum verändert: der geringe Frauenanteil. Zunächst: Die Partei selbst führt darüber keine Statistik. Anhand einer parteiinternen Befragung lässt sich der weibliche Anteil auf maximal 18 Prozent veranschlagen (Kegelklub 2012, S. 2). Unsere eigenen Beobachtungen verleiten zu der Annahme, dass er unterden Aktiven eher gegen zehn Prozent tendiert. Allerdings sind bei beiden Geschlechtern rund drei Viertel der Auffassung, dass Männer und Frauen in der Partei vollständig oder weitgehend gleichberechtigt sind. Bei der parallel gestellten Frage, ob dies auch für die Gesellschaft gelte, verneinte dies immerhin ein gutes Drittel (ebd., S. 22). Die Piraten scheinen von den Mitgliedern also als ein Hort der Emanzipation wahrgenommen zu werden.
Ganz so einfach sollte man es sich allerdings nicht machen, schließlich spielen Frauen in der Partei eben nur selten eine herausgehobene Rolle. Der Bundesvorstand war lange eine reine Männerrunde, erst seit 2011 gehören ihm erstmals zwei Frauen an. In drei der vier Landtagsfraktionen sitzt nur eine einzige Frau; lediglich in Nordrhein-Westfalen haben drei Frauen den Einzug ins Parlament geschafft, doch auch sie sitzen 17 Männern gegenüber. Fünf der 16 Landesvorstände sind komplett mit Männern besetzt. In zehn weiteren ist gerade einmal eine Frau vertreten. In Berlin gehören dem fünfköpfigen Vorstand immerhin zwei Frauen an. Offenbar gibt es in der Partei also eine Reihe von Hürden für eine höhere Beteiligung von Frauen.
Zum Teil handelt es sich dabei um Hindernisse, die wohl in jeder Organisation anzutreffen sind (Siri/Villa 2012, S. 160), es gibt allerdings zwei wichtige Aspekte, die als genuin »piratig« gelten: Sowohl das bereits erörterte »Kandidatengrillen« als auch die sogenannten »Shitstorms« schrecken weibliche Sympathisanten stärker ab als Männer (Kegelklub 2012, S. 18). Bei Letzteren handelt es sich um digitale Erregungswellen, die sich durch einen aggressiven Ton sowie oftmals unflätige Beschimpfungen auszeichnen und denen auch Vorstandsmitglieder und Kandidaten in den digitalen Kommunikationsräumen der Partei bisweilen ausgesetzt sind.
Einer umfassenden Debatte darüber, wie man den Frauenanteil steigern könnte, weichen die Piraten bisher allerdings aus. Man hat stattdessen die Chiffre »postgender« für sich entdeckt. Positiv gewendet, unternimmt die Partei den Versuch, eine Gleichstellungspolitik jenseits von Quotenregelungen zu durchdenken (Siri/Villa 2012, S. 169). Kritisch formuliert, wird mit dem Begriffjede Geschlechterdifferenz negiert, was nicht nur wegen des erkennbar niedrigen Frauenanteils einen eher schalen Beigeschmack bekommt. Wenn man zudem auf den Parteitagen sieht, dass Frauen in erster Linie die praktische Hintergrundarbeit wie Garderobendienst, Catering oder Kinderbetreuung übernehmen, während sich die Männer wählen lassen und programmatische Auseinandersetzungen führen, könnte man es rasch als simple Rechtfertigungsstrategie entlarven.
Die Partei steht jedoch nicht nur wegen ihres niedrigen Frauenanteils in der Kritik, sondern auch, weil sie offensichtlich eine gewisse Anziehungskraft auf Personen hat, die dann bald negativ auffallen und die Piraten somit in ein schlechtes Licht rücken. Die Führung hat in solchen Fällen dann immer schnell ein Zitat von Gregor Gysi zur Hand, wonach es in jeder Partei »zehn Prozent Idioten« gebe (Staun 2012). Dass die Piraten dabei vor allem Probleme mit Leuten zu haben scheinen, deren politische Primärsozialisation im rechten Spektrum stattfand oder deren Ansichten ebendort zu verorten sind, ist eine überaus unangenehme Entwicklung, auf welche die Partei bislang nicht einheitlich reagiert hat. Ob eine frühere Mitgliedschaft in der NPD als lässliche Jugendsünde anzusehen oder ob eine klare Abgrenzung vorzunehmen sei, ist hochumstritten. Gegen Matthias Bahner, einen frisch gewählten Kreistagsabgeordneten aus Vorpommern-Greifswald, läuft aus diesem Grund ein Parteiordnungsverfahren, das in erster Instanz noch gescheitert war, mittlerweile aber Erfolg hatte (Gschwender 2011; o. V. 2012). Aber nicht nur die belegte rechte politische Vergangenheit einiger Mitglieder stellt die Piraten vor eine Zerreißprobe. Das Parteimitglied Bodo Thiesen etwa fiel schon 2008 durch revisionistische Aussagen zum Holocaust und zur Schuld Deutschlands am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs negativ auf. Die damalige Führung unter
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