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Meuterei auf der Elsinore

Meuterei auf der Elsinore

Titel: Meuterei auf der Elsinore Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack London
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das?« fragte ich verdutzt.
    »Der Wind schlägt um«, sagte er. »Von dort kommt er.«
    Jetzt kam ein Windstoß aus Nordwesten, ein sausender Sturm, ein gewaltiger atmosphärischer Schlag, der verwirrte und betäubte und die Takelung wieder ihren harfenden Protest singen ließ. So stark war der Windstoß, daß er mich gegen den Bogen preßte und mir den Atem mit solcher Kraft in die Lungen zurückdrückte, daß ich fast erstickte… ich mußte den Kopf drehen. Ich fühlte mich wie ein Strohhalm vor dieser gewaltigen Kraft.
    Und wieder lauschte der Mann am Ruder auf die befehlende Stimme, während Kapitän West selbst, schlank und aufrecht, in stetem Gleichgewicht, das Gesicht in den Wind gerichtet, dastand oder langsam auf und ab ging.
    Es war ein wundervolles Bild. Jetzt lernte ich erst die See und die Männer kennen, die sie beherrschten. Kapitän West hatte sich in seiner wahren Gestalt gezeigt. Als der Sturm auf seinem Höhepunkt und die Lage kritisch war, hatte er die Führung der Elsinore übernommen, und Pike war das geworden, was er in Wirklichkeit nur war: der Vorarbeiter einer Arbeiterschicht, der Sklavenpeitscher.
    Eine Minute ungefähr schlenderte Kapitän West noch auf und ab, dann ging er hinunter, jedoch erst, nachdem er noch, die Hand auf der Türklinke des Kartenhauses, einen letzten prüfenden Blick auf die sturmzerwühlte See und den finsteren Himmel geworfen hatte, die er sich beide unterjocht hatte.
    Zehn Minuten darauf guckte ich durch die Kajütentür hinein. Seestiefel und Ölzeug waren schon fort. Die Füße in Pantoffeln auf einem Schemel, lag er zurückgelehnt in einem großen Ledersessel und rauchte träumend seine Zigarre, während er irgendwelchen Gedanken nachging. Falls seine Augen sahen, dann war es etwas, das sich jenseits der Kajütenwand, der Reling und meiner Vorstellungskraft befand. Ich hatte einen ungeheuren Respekt vor ihm bekommen, obgleich ich ihn jetzt noch weniger als früher kannte, was freilich sehr wenig besagen wollte.

    Eine böse Nacht folgte – gleich schlimm für die Elsinore wie für mich. Sie wurde von den Fäusten des winterlichen Nordatlantik schrecklich gepackt und geschüttelt. Durch Schlafmangel erschöpft, schlief ich früh ein, um nach einer Stunde wieder aufzuwachen, ganz verzweifelt über all die juckenden Blasen auf meiner Haut, wieder Cremor Tartari, wieder Lesen, immer neue Versuche einzuschlafen, bis mir der Steward kurz vor fünf den Kaffee brachte. Dann hüllte ich mich in meinen Schlafrock und schlich mich, gequält und verstört, in die große Kajüte. Ich setzte mich in einen Ledersessel und döste vor mich hin, bis ich durch einen gewaltigen Ruck des Schiffes hochgeschleudert wurde. Ich versuchte es mit dem Sofa und versank sofort in tiefen Schlaf – um mich ebenso schnell auf dem Fußboden zu finden, wohin ich gekollert war. Ich begab mich in den Speisesaal, warf mich auf einen angeschraubten Stuhl und schlief wieder ein, den Kopf auf den Armen und die Arme auf dem Tisch. Und viertel nach sieben weckte der Steward mich durch kräftiges Rütteln, weil der Tisch gedeckt werden sollte.
    Halb bewußtlos durch die Schwere, die stets nach kurzem Schlaf auf einem lastet, zog ich mich an und taumelte auf die Kampanje, in der Hoffnung, daß der Wind mein Gehirn rein wehen würde. Pike hatte die Wache und ging mit seinen schleppenden Schritten an Deck auf und ab. Der Mann ist ein wahres Wunder – neunundsechzig Jahre alt, mit einem harten Leben hinter sich, und doch stark wie ein Löwe!
    Ich lehnte mich an den Kampanjebogen und starrte voraus über das furchtbar mißhandelte Deck. Alle Klapp-Pforten und Speigatten hatten genug zu tun, um das Gewicht zu erleichtern, das der Atlantik unaufhörlich an Bord schleuderte. Ein Stück der hölzernen Finknetzreling war mitsamt ihren Koveinnägeln gegen die Steuerbord-Schanzkleidung unmittelbar unter den Besanwanten geschleudert worden, und eine verblüffende Menge von Tauen und Takeln schwamm jetzt dort im Wasser herum. Nancy und fünf oder sechs Mann arbeiteten, in Todesangst zitternd, um Ordnung zu schaffen. Ich sagte zu Pike, daß die Männer mir magerer und schwächer erschienen als im Anfang, und er zögerte einen Augenblick mit der Antwort, während er sie mit seinem kühlen Viehhändlerblick abschätzte.
    »Mag schon sein«, sagte er schließlich zornig. »Es ist eben eine faule Bande, nichts mit ihnen aufzustellen. In meinen jungen Tagen wurden wir bei solcher Arbeit noch fett – das heißt, fett ja

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