Meuterei auf der Elsinore
nicht, dazu schufteten wir zu schwer. Aber immer in Form, das war es. Aber dieser dreckige Plunder… Sagen Sie mal, Herr Pathurst, Sie erinnern sich doch an den Mann, mit dem ich am ersten Tage sprach und der sagte, daß er Charles Davis heiße?«
»Von dem Sie meinten, daß etwas bei ihm nicht stimmte?« fragte ich.
»Eben der! Er liegt jetzt mit dem verrückten Griechen im Mittschiffshaus, und er wird nicht soviel Arbeit leisten, wie auf einem Fingernagel Platz hat. Er hat den ganzen Körper voll von Löchern, so groß, daß ich die Faust hineinstecken kann. Ich weiß nicht, ob es Brandgeschwüre sind, Krebsbeulen, Löcher von Kanonenkugeln oder was sonst… und da hat der Kerl noch die Frechheit, mir zu erklären, daß sie erst hier an Bord aufgebrochen seien. Aber ein Wunder ist der Bengel doch! Ich beobachtete ihn die ersten Tage, schickte ihn zu Topp, ließ ihn in den Vorraum klettern, um einige Tonnen Kohle zu trimmen, und er verzog nicht eine Miene. Als er dann schließlich bis zum Hals im Salzwasser stand, da war er erledigt… und jetzt ist er frei von aller Arbeit… und zwar für die ganze Reise. Jede Woche wird er seine Heuer erheben und dabei den ganzen Tag im Bett liegen und keinen Finger rühren.«
Er schwieg einen Augenblick, um seine zerschlagenen Knöchel zu betrachten, als ob er feststellen wollte, wieviel Antriebskraft noch in ihnen steckte. Dann seufzte er: »Und dann sollten Sie den buckligen Schurken sehen, der zu Mellaires Wache gehört. Der ganze Kerl wiegt kaum seine hundert Pfund und muß etwa fünfzig Jahre alt sein. So einer spielt den befahrenen Seemann an Bord der Elsinore! Und was noch schlimmer ist, schiebt der Bengel einem die Verantwortung zu – er ist ein gemeines Luder, eine Giftschlange, eine bösartige Wespe. Und er fürchtet sich nicht im geringsten, weil er genau weiß, daß man nicht den Mut hat, auf ihn loszuschlagen, aus reiner Angst, ihn zu Apfelmus zu hauen. Ja, ja, der ist eine Perle, damit Sie Bescheid wissen, falls jemand eine Pardune heruntergerutscht kommt, um Sie zu fragen. Und falls Sie es noch nicht wissen sollten, so kann ich Ihnen sagen, daß er Mulligan Jacobs heißt.«
Als ich nach dem ersten Frühstück wieder an Deck kam – Mellaire hatte eben die Wache –, sah ich noch einen, der offenbar zu den besseren Leuten gehörte. Er stand am Steuerrad – ein kleiner, kräftig gebauter, muskulöser Mann von etwa fünfundvierzig Jahren mit dunklem, an den Schläfen bereits ergrautem Haar, einem kräftigen Adlergesicht, dunkler Haut und scharfblickenden klugen schwarzen Augen. Mellaire bestätigte mein Urteil, indem er mir erzählte, daß es der beste Seemann in seiner Wache sei. Da er den Mann immer den »Malteser Londoner« nannte, fragte ich ihn, was er damit meine, und er sagte: »Erstens, daß er Malteser ist, Herr Pathurst, zweitens, daß er Cockney wie ein Londoner spricht. Sie können ruhig wetten, daß er die Glocken von London läuten hörte, ehe er noch ein Wort sprechen konnte.«
In diesem Augenblick erschien Fräulein West auf der Kampanje. Sie sah frisch und rosig aus wie je, und wenn sie wirklich seekrank gewesen war, so konnte man es ihr jedenfalls nicht ansehen. Als sie mich begrüßte, bemerkte ich wieder ihre lebhaften, elastischen Bewegungen und ihre zarte Haut. Das Haar, auf dem sie eine weiße Strickmütze trug, war glatt und gepflegt.
»Wie ist es Ihnen ergangen?« fragte sie, fuhr aber gleich fort: »Ich habe wundervoll geschlafen heute nacht! Eigentlich war meine Krankheit schon vorgestern vorbei, aber ich habe mir einen Tag völliger Ruhe gegönnt. Ich habe zehn geschlagene Stunden ununterbrochen geschlafen.«
»Ich wünschte, dasselbe auch von mir sagen zu können«, antwortete ich trübselig.
»Sind Sie denn krank gewesen?«
»Im Gegenteil«, erwiderte ich trocken. »Aber das wäre mir lieber gewesen. Ich habe keine vier Stunden geschlafen, seit ich an Bord kam. Dieser verfluchte Hitzeausschlag!«
Ich hielt ihr das geschwollene Handgelenk hin. Sie warf einen Blick darauf, blieb plötzlich stehen, nahm es in ihre beiden Hände und unterwarf es einer gründlichen Prüfung.
»Du lieber Gott!« rief sie und begann zu lachen.
Ich wußte nicht, was ich davon denken sollte. Ihr Lachen war wirklich eine Freude für mein Ohr, so weich, so gesund und freimütig. Andererseits fand ich es wenig erheiternd, daß die Ursache mein bedauernswertes Schicksal war.
»Sie Ärmster«, sagte sie schließlich, noch glucksend vor Lachen. »Und
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