Meuterei auf der Elsinore
los! Warum haust du denn nicht?«
Aber Pike konnte nicht. Er, dessen ganzes Leben darin bestanden hatte, Männer an die Arbeit zu treiben wie der Viehtreiber die Rinder in das Schlachthaus, er war nicht imstande, diesen menschlichen Jammerlappen zu schlagen.
»Mach, daß du an deine Arbeit kommst, Mulligan. Ehe du an Land gehst, werde ich dich schon so weit haben, daß du mir aus der Hand frißt.«
Und Mulligan Jacobs’ Kopf auf dem verkrüppelten Hals näherte sich dem Steuermann noch um einen Zoll, während seine verbissene Wut schon fast zur lodernden Flamme wurde. So gewaltig war die Raserei, die ihn schüttelte, daß er keine Worte fand, ihr Ausdruck zu verleihen. Alles, was er hervorzubringen vermochte, waren einige tiefe, tierische Kehllaute. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn er dem Steuermann Gift ins Gesicht gespien hätte.
Pike drehte sich um und verließ den Raum. Er hatte eine Niederlage erlitten.
Ich kann es nicht aus meiner Erinnerung verbannen. Das Bild des Steuermannes und des Krüppels, die sich gegenüberstehen, taucht selbst unter geschlossenen Augenlidern auf. Diese Begegnung war anders als alles, was ich aus Büchern und von der Wirklichkeit weiß. Sie war eine Offenbarung. Das Leben ist eine höchst merkwürdige Sache. Woher stammt jene zuckende Flamme, die Mulligan Jacobs durchglüht? Wie kann er es wagen – ohne die geringste Aussicht auf Gewinn, der so gar kein Held, der nicht einmal der Führer einer verlorenen Hoffnung oder ein Märtyrer ist, sondern nur eine schmutzige, übelriechende Ratte –, wie kann er es wagen, frage ich mich, so aufbegehrend, so todesmutig zu sein?
Jetzt arbeitet ein anderer mit Terpentin und Bleiweiß in meiner Kabine. Er heißt Arthur Deacon, ein blasser Mann mit verborgenem Blick. Ich fragte Pike, was er von dem Mann hielte.
»Weißer Sklavenhändler«, lautete seine Antwort. »Hat sich aus New York drücken müssen, um seine Haut zu retten. Er wird hier schon etwas anzetteln mit den drei Lausigeln, denen ich neulich eins ausgewischt habe.«
»Was denken Sie von denen?«
»Ich setze ein Monatsgehalt gegen ein Pfund Tabak, daß irgendein Staatsanwalt eben in diesem Augenblick auf der Suche nach ihnen ist. Wieviel hat der Mann gekriegt, der die Jungens aus New York weggeschafft hat…?«
»Mitglieder einer Diebesbande?« fragte ich.
»Ja – eben. Aber ich werde ihnen das Fell gerben. Ich werde schon mit ihnen fertig werden, glauben Sie mir! Ich hab’ schon bessere Leute begraben müssen, und ich werde noch manchen begraben, der mich für einen alten Schuft hält.«
Er schwieg einen Augenblick und sah mich feierlich an.
»Herr Pathurst, ich habe gehört, daß Sie ein Bücherschreiber sind. Als man mir in der Agentur erzählte, daß Sie unser Passagier sein sollten, machte ich mir den Spaß, hinzugehen und mir Ihr Stück anzusehen. Ich will nichts über das Stück sagen. Aber das möchte ich Ihnen doch sagen, Herr Pathurst, daß Sie als Bücherschreiber hier an Bord Stoff genug kriegen werden. Es wird hier einen Mordskrach geben, glauben Sie mir, und hier vor Ihnen steht ein alter Schuft, der seinen Anteil daran haben wird.«
Wie herrlich habe ich geschlafen! Und das habe ich Fräulein West zu verdanken! Warum hatte weder Kapitän West noch Pike, die doch beide Erfahrungen genug haben, herausgefunden, was mit mir los war? Oder Wada? Aber nein, dazu bedurfte es ausgerechnet Fräulein Wests. Wäre sie nicht auf der Elsinore gewesen, der Mangel an Schlaf hätte mich noch verrückt gemacht.
Heute morgen nahm ich meine gewohnte scherzhafte Unterhaltung mit Mellaire wieder auf: »Hat O’Sullivan jetzt die Stiefel von Andy Fay bekommen?«
»Noch nicht, Herr Pathurst«, lautete die Antwort, »aber fast hätte er sie heute gekriegt. Kommen Sie mal mit, Herr Pathurst, ich werde Ihnen was zeigen…«
Ohne sich auf weitere Erklärungen einzulassen, führte mich der Untersteuermann über die Laufbrücke, am Mittschiffshaus vorbei nach dem Vorderkastell. Als ich vom Rande der Back auf das Kabelgatsluk hinunterblickte, sah ich dort zwei Japaner mit Nadeln und Zwirn sitzen und ein großes Segeltuchbündel zusammennähen, in das offenbar ein menschlicher Körper eingewickelt war.
»O’Sullivan hat sein Rasiermesser gebraucht«, sagte Mellaire.
»Und das ist Andy Fay?« rief ich.
»Nein, Herr Pathurst, nicht Andy Fay, sondern ein Skandinavier. Christian Jespersen laut Musterrolle. Er kam zufällig O’Sullivan in die Quere, als der sich die Stiefel holen
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