Meuterei auf der Elsinore
wollte, und dieser Zufall hat Andy Fay gerettet. Andy war etwas schneller, Jespersen stolperte schon über seine eigenen Füße, wie konnte er da O’Sullivan ausweichen. Dort sitzt Andy jetzt!«
Ich folgte dem Blick Mellaires und sah den ausgemergelten alten kleinen Schotten auf einem Reservespier sitzen und seine Pfeife rauchen. Den einen Arm trug er in der Schlinge, und um den Kopf hatte er einen Verband. Neben ihm hockte Mulligan Jacobs. Sie gaben ein hübsches Paar ab – beide hatten sie blaue Augen und einen bösen Blick. Beide waren gleich ausgemergelt. Es war nicht schwer zu erkennen, daß sie schon zu Beginn der Fahrt ihre Verwandtschaft in Unzufriedenheit mit dem Leben festgestellt hatten. Andy Fay war, wie ich wußte, dreiundsechzig Jahre alt, und Mulligan Jacobs, der erst gegen Fünfzig war, glich den Altersunterschied durch den Haß aus, der in seinen Augen und seinen Zügen glomm.
Knirps bog soeben um die Ecke des Vorderkastells und begrüßte mich mit seinem gewohnten Clowngrinsen. Seine Hand war verbunden.
»Herr Pike muß viel zu tun gehabt haben«, sagte ich zu Mellaire, als ich es sah.
»Während seiner ganzen Wache von vier bis acht hat er Verwundete geflickt.«
»Wieso?« fragte ich. »Sind denn noch mehr verwundet?«
»Noch einer, Herr Pathurst, der Matrose B. Chantz. Ich sah nie in meinem Leben auf See so viele Kranke wie jetzt an Bord der Elsinore. Wir haben jetzt wirklich genug Drückeberger und Faulpelze im Vorderkastell, Chantz ist nicht schwer verwundet, aber Sie hätten ihn einmal jammern hören sollen.«
»Wo ist O’Sullivan jetzt?« forschte ich.
»Im Mittschiffshaus bei Davis. Und ohne einen Riß in der Haut. Herr Pike kam dazu und schlug ihn nieder, und jetzt liegt er festgezurrt unten und redet im Fieber. Er hat Davis eine Höllenangst eingejagt. Davis hockt in seiner Koje mit einem Maripfriem in der Hand und droht, O’Sullivan den Schädel einzuschlagen, wenn er loskommt. Ach Gott ja«, seufzte der Untersteuermann. »Das ist die verrückteste Reise und die verrückteste Mannschaft, die ich je getakelt habe. Sie wird nicht gut enden, diese Fahrt. Das kann jeder mit einem halben Auge sehen. Ehe wir Kap Hoorn erreichen, haben wir Winter – und dabei das Vorderkastell voll von Verrückten und Krüppeln. Sehen Sie nur den da! Verrückt, wie eine toll gewordene Wanze! Er kann jeden Augenblick wieder über Bord springen!«
Ich folgte seinem Blick und sah den Griechen Tony, der am ersten Tag über Bord gesprungen war. Er schien sich wohl zu befinden, wenn er auch den einen Arm in der Schlinge trug.
Mein Blick kehrte zu der in Segelleinen gehüllten Leiche Christian Jespersens und zu den Japanern zurück, die ihm mit Segelgarn das Leichentuch nähten. Der eine von ihnen trug eine Hand in einem mächtigen Verband aus Watte und Mull.
»Ist er auch verwundet?« fragte ich.
»Nein, das ist ja der Segelmacher, beide übrigens. Der mit der Hand ist recht tüchtig. Yatsuda heißt er. Aber er hat Blutvergiftung gehabt und lag über achtzehn Monate im Krankenhaus in New York. Er wehrte sich mit Händen und Füßen gegen eine Amputation. Jetzt ist er wieder ganz in Ordnung, nur daß die Hand, mit Ausnahme von Daumen und Zeigefinger, gelähmt ist. Er lernt jetzt mit der linken Hand nähen. Er ist einer der besten Segelmacher.«
»Ein Verrückter und ein Rasiermesser sind eine gefährliche Verbindung«, bemerkte ich nachdenklich.
»Die fünf Mann außer Gefecht gesetzt hat«, seufzte Mellaire. »Erstens O’Sullivan selbst; Christian Jespersen ist schon abgemustert, und dann Andy Fay, Knirps und Chantz, und die Reise hat kaum angefangen. Und dazu Lars mit dem gebrochenen Bein und Davis, der endgültig erledigt ist… ja, ja, Herr Pathurst, wir werden bald so wenig Arbeitskräfte haben, daß wir beide Wachen brauchen, um ein Stagsegel zu setzen.«
Als ich später mit Possum an Deck herumschlenderte, kam ich auch an der Tür des Mannschaftslazaretts vorbei und hörte das eintönige Vorsichhinsingen O’Sullivans. Ich guckte hinein. Da lag er festgeschnürt auf dem Rücken in seiner Koje und rollte mit den Augen. In der Oberkoje über ihm lag Charles Davis und rauchte ruhig seine Pfeife. Der Maripfriem lag griffbereit auf dem Bettrand neben dem Patienten.
»Die reine Hölle, nicht wahr?« begrüßte mich Davis. »Und wie soll ich pennen, wenn der Pavian da unten liegt und ich sein verfluchtes Geschnatter anhören muß? Nicht eine Minute hält er den Rand; wenn er mit den Zähnen
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