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Meuterei auf der Elsinore

Meuterei auf der Elsinore

Titel: Meuterei auf der Elsinore Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack London
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der abwechselnd fluchte und drohte, wenn er seine Befehle erteilte. Ununterbrochen maß er die Stärke der Windstöße, und immer wieder suchte sein Blick die große Bramrahe. Er hätte gern noch dies eine Segel gesetzt… mehr als ein dutzendmal sah ich ihn schon den Mund öffnen, um den Befehl zu geben, den er doch nicht zu geben wagte. Dieser barsche, verbitterte Offizier war der einzige Mann unter diesen »Männern«. »Und wo«, so dachte ich schmerzlich, »wo ist der Kapitän?«
    Eine Aussicht gegen zehn? Wir hatten nur eine gegen hundert, als wir kämpften, um den letzten gefährlichen Felsblock luvwärts zu umsegeln, der See und Sturm zwischen uns und dem freien Meere trotzig zerriß. Aber wir kamen frei vom Land. Und wie in wilder Wut darüber, daß wir ihm entschlüpften, benutzte der Sturm den Augenblick, um uns die schlimmste aller Backpfeifen auszuwischen. Der alte Steuermann fühlte, daß diese Riesenwoge es auf uns abgesehen hatte, denn noch ehe der Schlag kam, war er schon ans Steuer gesprungen. Ich sah, wie alles vorn in der ungeheuren Wassermenge verschwand, die sich über das Schiff stürzte. Dann hob sich die Elsinore und wurde wieder in ihrer ganzen Länge sichtbar, und im selben Augenblick schleuderte ein Windstoß sie auf die Seite, so daß die Hälfte der ungeheuren Wassermenge über Bord gespült wurde. Über die Laufbrücke lief von Mund zu Mund der Ruf: »Mann über Bord!« Ich sah den Steuermann an. Er schüttelte den Kopf, als ob er sich über eine so alltägliche Begebenheit ärgerte, trat an die Ecke des Kartenhauses und starrte von dort aus nach der Küste, der wir soeben entgangen waren und die kalt im Mondlicht schimmerte.
    Mellaire kam achteraus, und sie trafen sich neben mir in Lee des Kartenhauses.
    »Alle Mann an Deck«, sagte der Steuermann. »Bergen Sie das Großsegel und dann das Gretchen.«
    »Jawohl, Steuermann«, antwortete Mellaire.
    »Wer war es eigentlich?« fragte der Steuermann, als Mellaire sich schon umdrehte, um sich zu entfernen.
    »Boney war sowieso nichts wert«, lautete die Antwort.
    Das war alles. Boney war verschwunden. Und alle Mann befolgten den Befehl des Untersteuermanns, das Großsegel zu bergen. Aber sie kamen nie dazu – denn im selben Augenblick wurde es vom Winde zerrissen, und wenige Minuten später waren nur einige flatternde Fetzen übrig.
    »Das Gretchen!« befahl Pike.
    Auf dem Wege nach unten warf ich einen Blick in den Kartenraum. Da erhielt ich die Erklärung des Fehlers, den der Kapitän gemacht hatte, wenn man überhaupt von einem Fehler sprechen kann. Keiner wird es je entscheiden können. Er lag auf dem Boden – ein willenloser Körper, den jedes Schlingern des Schiffes hin und her schleuderte.

    Es ist so viel auf einmal zu berichten. Zunächst natürlich von Kapitän West. Sein Tod kam nicht ganz unerwartet. Margaret sagte mir, sie hätte es von Anfang der Reise an befürchtet. Das war es auch, was sie bewogen hatte, ihren Vater zu begleiten.
    Wie alles in Wirklichkeit vor sich ging, wissen wir freilich nicht, aber wir sind uns doch einig, daß es aller Wahrscheinlichkeit nach ein Herzschlag gewesen ist. Freilich habe ich, das muß ich offen gestehen, nie davon gehört, daß eine Art Gehirnschwäche einem Herzschlag um mehrere Stunden vorausging. Und der Verstand des Kapitäns schien mir auch ganz ungetrübt und muß es auch gewesen sein, als er gestern nachmittag den Befehl zum Halsen gab. Dann hat er freilich einen Fehler begangen. Der Seeheld beging einen Fehler – und sein Herz brach, als ihm der Fehler bewußt wurde.
    Jedenfalls kommt Margaret gar nicht auf den Gedanken, daß ihr Vater vielleicht einen Fehler gemacht hätte. Sie bleibt dabei, daß alles irgendwie mit seinem bevorstehenden Tode zusammenhing. Und es ist auch keiner unter uns, der sie dieser Illusion berauben würde. Und auch ich frage mich oft, ob es nicht vielleicht doch etwas anderes gewesen ist, was sein Bewußtsein trübte und seinen klaren Verstand verdunkelte, bevor er starb.
    Gegen Mittag desselben Tages, an dem wir die Elsinore noch gerade von der Küste der Tierra del Fuego abgehalten, schlingerte sie wieder in einer Windstille, kaum zehn Meilen vom Land entfernt. Um vier Uhr wurde Kapitän West bestattet, um acht Glasen am selben Nachmittag übernahm Pike das Kommando und hielt eine kleine Ansprache an die versammelte Mannschaft. Unter anderem sagte er den Matrosen, sie hätten jetzt einen neuen Herrn bekommen und müßten ganz anders arbeiten als bisher.

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