Meuterei auf der Elsinore
einmal vertrimmen. Ich muß übrigens bemerken, daß Mellaire dieses Hetzen nicht mitmacht. Und doch weiß ich, daß er selbst sehr viel Übung darin hat und daß er am Anfang der Reise gar nichts dagegen einzuwenden hatte. Jetzt scheint er sich aber auf guten Fuß mit der Mannschaft stellen zu wollen. Ich möchte wissen, was Pike davon denkt, denn er kann nicht blind für das sein, was hier vorgeht, aber ich weiß nur zu gut, was geschehen wird, wenn ich die Frage anschneide. Er wird mich einfach anschnauzen und wird dann die folgenden drei Tage »seesauer« sein.
Für Margaret und mich sind die Verhältnisse bei Tisch wie in den Kabinen, auch ohne die Ungnade des Steuermanns, schon eintönig und traurig genug.
Wieder hat sich ein brutaler Seemannsaberglaube bestätigt. Wir befinden uns westlich von den Diego-de-Ramirez-Klippen und laufen vor einem Oststurm mit einer Fahrt von zwölf Knoten nach Westen. Der Zimmermann ist über Bord gegangen. Sein Verschwinden erfolgte gleichzeitig mit dem Einsetzen des Ostwindes.
Als Wada mir gestern morgen beim Anziehen half, war ich von dem feierlichen Ausdruck seines Gesichtes betroffen. Mit finsterem Kopfschütteln berichtete er mir das Geschehene. Der Zimmerbaas war verschwunden. Man hatte das ganze Schiff, oben und unten, vorn und achtern nach ihm durchsucht.
»Was meint der Steward dazu?« fragte ich. »Was Louis? und Yatsuda?«
»Seeleute Zimmerbaas totschlagen, ganz sicher«, lautete die Antwort. »Sehr schlechter Schiff diese hier! Sehr böse Herzen! Alle dieselbe Hund! Immer totschlagen! Zum Schluß alle tot! Sie werden sehen!«
Und doch gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, daß ein Verbrechen vorliegt. Keiner weiß, was dem Zimmermann zugestoßen ist. Es ist keine Spur vorhanden. Die Nacht war ruhig; es schneite. Keine Sturzsee überspülte das Schiff. Kein Zweifel: Der klobige Riese mit den gewaltigen Plattfüßen – trotz seiner Größe war er eigentlich nur ein Knabe – ist über Bord gefallen und tot. Die Frage ist nur: Fiel er von selber, oder wurde er geworfen? Die Matrosen sind einer nach dem andern vom Steuermann vernommen worden, alle haben dieselbe Geschichte zum besten gegeben. Mehr wissen sie nicht.
Es war ein unvergeßlicher Auftritt – der Steuermann auf der Kampanje, die Männer, mürrisch und gleichgültig, in Gruppen an Deck. Durch die stille Luft rieselte der Schnee leise und senkrecht auf das Schiff herab. Und ganz plötzlich kam er, der leise Hauch eines Ostwindes! Der Steuermann war der erste, der ihn spürte. Ich sah ihn zusammenfahren und seine Wange dem fast unmerklichen Hauch zuwenden. Dann spürte auch ich ihn. Der Steuermann wartete noch eine Minute, bis er seiner Sache sicher war, dann war der verschwundene Zimmermann vergessen, und seine Befehle an den Rudergast und an die Leute brachen wie ein Strom hervor. Die Männer sprangen, wenn das Aufentern auch langsam und mühselig vonstatten ging. Als die Beschlagseisinge von den Bramsegeln genommen waren und die Männer an Deck die Rahen aufgezogen und die Schoten anholten, waren die Toppgasten erst dabei, die Reuel loszumachen. Unterdessen begann die Elsinore mit dem Bug gegen Westen, vor dem ersten guten Wind seit anderthalb Monaten westwärts zu laufen.
Langsam wuchs die leichte Brise zu einer labberen Kühlte an, während es unaufhörlich schneite. Tom Spink, der an mir vorbeiging, warf mir einen triumphierenden Blick zu. Der Aberglaube hatte seine Bestätigung gefunden. Die Ereignisse selbst hatten ihm recht gegeben. Im selben Augenblick, als der Zimmermann von der Bildfläche verschwunden, war ein günstiger Wind aufgekommen. Jetzt mußte es doch jedem einleuchten, daß dieser verdammte Hexenmeister seinen Sack voll Windzauber mit über Bord genommen hatte.
Gegen Mittag hörte das Schneegestöber auf, und wir liefen vor einer labberen Kühlte, die sich gegen drei Uhr nachmittags zu einer steifen entwickelte. Immer westwärts! Pike guckte zu den Reuelrahen hinauf, die sich unter dem Druck des Windes auf die Segel bogen, und schwor, daß sie bersten sollten, bevor er die Segel nur um einen Zoll mindern würde. Er tat mehr als das. Er setzte das große Kreuzsegel, dann auch Besan und Brodwinner. Und er forderte Gott oder Teufel auf, eine Naht oder alle Nähte zu zerreißen. Seine Ausdauer ist einzig. Wache auf Wache, ununterbrochen, bleibt er auf der Kampanje und hetzt die Leute.
Margaret hatte nichts gegen dieses Antreiben, abgesehen davon, daß sie nicht schlafen konnte. Mellaire
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