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Meuterei auf der Elsinore

Meuterei auf der Elsinore

Titel: Meuterei auf der Elsinore Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack London
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Untersteuermann nach Backbord lief, um seinen letzten Schuß vom Großluk aus abzufeuern, sah ich, wie Pike sich hinter dem Kartenhaus versteckte, dann achteraus rannte und durch das Achterluk verschwand. Ich vernahm auch den Knall des letzten Schusses und hörte die Kugel gegen die stählerne Wand des Kartenhauses schlagen.
    Ich selbst rührte mich nicht vom Fleck. Ich war zu begierig zu sehen, was vorging. Vielleicht war es mangelnde Geistesgegenwart, vielleicht nur mangelnde Gewohnheit, an Auftritten teilzunehmen, die so schnelle Entschlüsse erforderten, daß ich einfach auf der Kampanje stehenblieb und zuschaute.
    Ich war der einzige, der sich auf der Kampanje befand, als die Leute unter Anführung des Untersteuermanns und der drei Banditen angestürmt kamen. Ich sah sie die Treppe heraufsteigen, und mir kam gar nicht der Gedanke, Widerstand zu leisten. Was natürlich auch das einzig Vernünftige war, denn sie hätten mich beim ersten Versuch getötet. Die Meuterer waren ganz verblüfft, als sie keinen Widerstand fanden. Bert Rhine holte schon zum Stoß aus, offenbar in der Absicht, mich mit seinem Scheidemesser niederzustechen. Aber dann – und ich weiß genau, daß ich ihn richtig beurteile – kam er zu dem für mich durchaus nicht schmeichelhaften Ergebnis, daß ich ganz bedeutungslos sei, und ließ mich unangetastet.
    Was mir in eben diesem Augenblick auffiel, war der völlige Mangel an Überlegung bei der Mannschaft. So unvorbereitet war sie in die Meuterei hineingesprungen, daß sie noch ganz verwirrt war, als sie sich schon mittendrin befand. Seit wir vor Monaten Baltimore verlassen hatten, war es (abgesehen von dem Selbstmordversuch Griechen-Tonys) ja nie auch nur für einen Augenblick geschehen, daß kein Mann am Steuer stand. Die Leute waren so daran gewöhnt, immer jemand dort zu sehen, daß sie jetzt, als sie das Steuerrad ohne Bedienung sahen, völlig den Kopf verloren. Einen Augenblick starrten sie entgeistert hin. Dann schickte Bert Rhine mit einer herrischen Handbewegung Guido Bombin ans Ruder, das sich hinter der Wand des Steuerhauses befand.
    Ich muß gestehen, daß ich im Taumel der Ereignisse nur weniges ganz genau bemerkte. Ich sah wohl, daß mehrere Matrosen die Treppe heraufkamen und sich über die Kampanje zerstreuten, aber ich interessierte mich nur für die Gruppe achtern am Steuerhaus und sah etwas sehr Merkwürdiges, nämlich, daß es Bert Rhine und nicht der Steuermann war, der dort Befehle gab und dem man gehorchte. Auf ein Zeichen von ihm begab der Jude Isaac Ghantz sich zur Steuerbordtür des Kartenhauses. Während alles das in Bruchteilen von Sekunden vor sich ging, beobachtete Bert Rhine vorsichtig durch das offene Achterluk den Proviantraum.
    Isaac Chantz öffnete die nach außen gehende Tür zum Kartenhaus. Was jetzt geschah, erfolgte alles blitzschnell. Im Türspalt erschien eine welke, gelbe Hand, in der ein zwei Fuß langes Schlachtermesser blitzte. Der scharfe Stahl fuhr am Kopf des Eindringlings vorbei, traf ihn aber in die linke Schulter. Chantz taumelte gegen die Reling, und ich konnte sehen, wie das Blut in einem dunklen Strom hervorquoll. Bert Rhine beendete seine Besichtigung des Achterluks und sprang mit dem Untersteuermann, der noch immer seinen Revolver in der Hand trug, mitten in die erregte Gruppe vor der Tür hinein.
    Oh, der gescheite, vorsichtige alte chinesische Steward! Er war nicht so dumm, einen Ausfall zu machen. Die Tür schlug beim Schlingern der Elsinore hin und her, und alle Matrosen mußten glauben, daß der Steward mit seinem schweren Fleischermesser dahinter lauerte. Und während sie noch die Tür anstarrten, die im Schlingern des Schiffes bald aufsprang, bald wieder zuschlug, erschien plötzlich eine Gestalt im Achterluk zwischen Steuerhaus und Kartenhaus. Es war Pike. In der Hand hielt er seine 44kalibrige automatische Coltpistole. Jetzt war alles Chaos und Verwirrung. Es wurde viel geschossen, und doch hörte ich aus dem allgemeinen Lärm immer wieder das eintönige Knallen des Colts heraus.
    Ich sah, wie Mike Cipriani sich plötzlich verzweifelt an den Unterleib griff und dann langsam aufs Deck sank. Knirps, das japanische Halbblut, tanzte abseits vom Kampf grinsend herum, und er war es auch, der mit einer letzten grotesken Grimasse und einem hysterischen Gekicher den Rückzug über die Kampanje und die Treppe einleitete. Nie habe ich ein schöneres Beispiel der Psychologie der Masse gesehen als bei dieser Gelegenheit. Knirps war sicher der

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