Mexiko, mein anderes Leben (German Edition)
zufrieden zurück und streckte uns mit erhobener Hand seinen Daumen und den Zeigefinger entgegen, die sich aber beide nicht berührten. Diese drei Millimeter Luft zwischen den Fingern kannten wir ja schon, es würde noch ein paar Minuten dauern, bis wir dran kämen. Mittlerweile war es drei Uhr nachmittags und unser Bedarf war schon lange gedeckt, das Geschehen hier in dem Haus des Verbrechens weiter mit Anspannung zu verfolgen. Die Aufnahme der Anzeige ging dann ziemlich schnell, doch verstanden haben wir fast kein Wort, weil Ernesto und der Anwalt sich in Spanisch verständigten. Also versuchten wir mit einem verstehenden Blick, unser Nichtverstehen zu verbergen. Ernesto war geradezu überglücklich und beschwingt, in der Annahme, dass jetzt alles seinen gerechten Gang gehen würde und wir unser Geschäft mit der „Wendy“ bald weiterführen könnten.
Doch tagelang tat sich wieder mal typisch für Mexiko nichts, rein gar nichts. Und nachdem noch ein paar Tage mit Nichts verstrichen, machten wir uns wieder auf den Weg in die Höhle des Verbrechens. Schon beim Einfahren auf den Hof, wo sich das Gericht, die Polizei und das Gefängnis befinden, stockte uns der Atem und wir trauten unseren Augen kaum. Von Weitem erkannte ich die grüne Bootsplane, aber dass dort wirklich unsere „Wendy“ auf dem Hof stand, sah ich erst etwas später. Mein Herz hüpfte einen Galopp vor Freude und ich konnte es nicht fassen, dass der Staatsanwalt so gut gearbeitet hat, wohl bemerkt ohne Bestechungsgeld, und wir das Boot jetzt endlich mitnehmen konnten. Ernesto hatte ja für diesen Fall schon immer die Anhängerkupplung an seinem Truck und nun sollte es wirklich so weit sein!
Die Odyssee hatte ein Ende und alles wurde gut. Ernesto war der gleichen Meinung, nur Robert konnte unsere Freude noch nicht so recht teilen. Er behauptet von sich immer, dass er der totale Realist sei, aber manchmal tendiert dieser Realismus auch etwas zu Pessimismus. Doch diesmal sollte Robert recht behalten. Wir konnten das Boot nicht mitnehmen. Die „Wendy“ wurde von der Polizei und der Staatsanwaltschaft bis zur weiteren Klärung beschlagnahmt und bis dahin sei sie Eigentum des Staates.
Aber die Wahrheit sah vielleicht ganz anders aus. Denn wenn zwei sich streiten, dann freut sich der Dritte. Und dieser Dritte waren hier vielleicht der Staatsanwalt und der Polizeipräsident. Wieder wurden wir vom realen Leben in Mexiko eingeholt, denn das Recht existiert hier nicht. Jedenfalls nicht so, wie wir es kennen. Es war in unserer Situation durchaus möglich, dass keiner von uns das Boot bekam, sondern diese beiden Größen des Staates sich mit dem Boot irgendwann am Wochenende mit einer Spritztour auf dem Ozean den Feierabend versüßen und die „Wendy“ dann in ihr Eigentum übergehen würde. In solchen Momenten hasse ich dieses Land und diese Gesetzlosigkeit, der wir ohnmächtig gegenüberstehen. Doch das waren jetzt nur meine düsteren Gedanken, die hoffentlich nicht Realität werden sollten. Diesmal dauerte es keine Stunden, bis wir mit dem Staatsanwalt sprechen konnten, denn unser Fall hatte jetzt hier und in diesem Gebäude höchste Priorität, es ging um viel Geld und da erwachten alle ganz schnell aus ihrem mexikanischen Mittagsschlaf. Und am schnellsten diejenigen, die die meiste Macht haben und die auch wissen, diese zu nutzen. Zu nutzen für ihren eigenen privaten Vorteil, um sich zu bereichern an fremdem Eigentum. Dies war meine Horrorvorstellung.
Aber so sollte es nicht sein, denn der Anwalt teilte uns mit, dass sich nun endlich der wahre Eigentümer des Bootes aus Florida gemeldet hatte und er jetzt nur noch die Zulassungspapiere vergleichen müsste, um eine Entscheidung zu treffen. Eine Entscheidung darüber, wem die „Wendy“ tatsächlich gehörte. Welche Papiere waren die richtigen und wer sollte nun das Boot bekommen? Immer mehr wurde mir klar, dass wir reingelegt und betrogen wurden, aber von wem, das lag noch im Dunkeln. Ari und Terri spielten ein falsches Spiel mit uns, doch sie waren nicht die Spitze des Eisbergs. Auch der Staatsanwalt und der Polizeipräsident witterten nur eine Gelegenheit, sich zu bereichern. Die Wurzel oder der Ursprung des ganzen Übels lag jedoch ganz woanders. Da, wo wir es nie vermutet hätten. Doch in den nächsten Tagen sollten uns durch einen Zufall die Augen geöffnet werden.
Wir verbrachten viel Zeit mit Ernesto und trotz der ganzen
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