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Mich gibt s ubrigens auch fur immer

Mich gibt s ubrigens auch fur immer

Titel: Mich gibt s ubrigens auch fur immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seidel Jana
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schäme mich für einen Super-Vater, der bloß ein paar liebenswerte Schrullen hatte? Wird irgendwann ein Mädchen wie ich meinem Vater im Altersheim begegnen und mich verurteilen, weil ich nicht da bin? Und wird sie damit womöglich recht haben? Insgeheim glaube ich ja, es war auch ein bisschen seine Rache am Weihnachtskonsum-Wahnsinn, dass wir den Nikoläusen ihre Säcke geleert haben, ohne in den Geschäften jemals etwas zu kaufen.
    Als ich älter wurde, lernte ich kochen. Ich hatte keine Lust mehr, immer nur von Tiefkühlpizza und Cola zu leben, wenngleich meine Klassenkameraden mich darum beneideten. Auch darum, dass ich tun konnte, was ich wollte, beneideten mich viele. Mir kam es aber immer wie Gleichgültigkeit vor. Nach meiner Mutter war mein Vater verrückt gewesen, für mich interessierte er sich weniger. Wenn ihm zwischendurch seine Tochter wieder einfiel, versuchte er ungeschickt mit Geschenken von seiner geistigen Abwesenheit abzulenken. Manchmal lagen dann plötzlich angesagte Klamotten und CDs auf meinem Bett, ohne dass er sich dazu äußerte. Mir fällt ein, dass ich das auch nie getan habe, nicht mal in Form eines kleinen »Dankeschön«, wofür ich mich nun mit etwas Verspätung schäme, egal, wie allein ich mich damals gefühlt habe.
    Irgendwann um meinen 19. Geburtstag herum, kurz vor meinem Abitur, bewies er dann, dass die Zeit nicht alle Wunden heilt. Immer noch verbittert über die Ungerechtigkeit seines Verlustes kam er zu einer schwerwiegenden Erkenntnis. Und die musste er prompt mit halb Hamburg teilen. Auf ein Fischerhemd schrieb er mit einem Edding: »Der Tod kommt plötzlich.« In den S-Bahnen sang er einen selbst geschriebenen Song und zupfte dazu auf seiner alten Gitarre herum. Ich erinnere mich nicht genau an sein Liedchen, aber es ging etwa so: »Es geht ohne Jesus in die Dunkelheit. Es geht ohne Jesus in den sicheren Tod.« Das war ein vertrackt nihilistisches Da-Da-Meisterwerk, genauso wie der Spruch auf seinem Shirt. Wahrscheinlich sollte es ein Gesamtkunstwerk des Nonsens sein mit der Botschaft: Vergesst den Glauben und Jesus. Das gibt es alles nicht. Und ihr Pfeifen werdet sowieso irgendwann einen plötzlichen, einsamen Tod erleiden. Da kann euch der langhaarige Typ mit Latschen auch nicht
helfen.
    Leider verstand keiner seine Kunst, und so kam es zu dem kolossalen Missverständnis. Ein paar besonders empfindsame Zuhörer, überwiegend Frauen, dachten, er wolle die Menschen retten und dem Leben näher bringen. Und weil ja jeder mehr oder weniger verzweifelt nach einem tieferen Sinn sucht, fanden sie bei ihm endlich eine tiefere Antwort als in den Selbsthilferatgebern und den Bikram-Yoga-Kursen. Das sagten sie zumindest. Ich denke, es lag eher daran, dass mein Vater nie wie ein Penner aussah, sondern eher auf eine wilde Art attraktiv war. Oft genug wurde er schon vorher von Frauen angesprochen, die mit ihm ihre Rettungsinstinkte austoben wollten. Das Leben ist ungerecht, einem hässlichen Fettsack hätten sie die Botschaft garantiert nicht abgekauft, sondern sich mit verächtlichem Grinsen einen Vogel gezeigt.
    Gegen seinen Willen scharte mein Vater also nach kurzer Zeit ein paar echt durchgeknallte »Jünger« um sich, die ihm auf seinen Trips folgten. Erst verwirrte ihn das sehr. Auch dass sie sich desto heftiger an ihn klammerten, je mehr er sie loswerden wollte. Irgendwann gab er verzweifelt auf und stürzte sich in die neue Aufgabe. Unser Wohnzimmer wurde zu einem Sitzungsraum, und ich bekam meinen Vater noch seltener zu Gesicht. Sie standen mit verpeilten Botschaften auf Schildern an der Straße und propagierten Besitzlosigkeit. Mein Vater hat dabei wohl seine Führungsqualitäten entdeckt und festgestellt, dass die Welt voller Doofies ist. Er war immerhin so verantwortungsbewusst, direkt nach meinem Abitur zum Hinduismus zu konvertieren und ein Ashram in Indien aufzumachen. So musste ich mich nicht mehr um das Elend kümmern, und zumindest einer von uns ist so der Winterdepression entkommen!
    Soweit ich weiß, kommen jetzt immer reiche Touristen zu ihm und zahlen ganz viel Geld, damit sie total authentisch auf total verrotteten Matratzen nächtigen dürfen. Bestimmt gibt es da auch jede Menge freie Liebe und Drogen und so. Will ich das wirklich in meinem Leben haben?
    In leicht gekürzter Fassung lasse ich meine Freunde an meinen Gedankengängen teilhaben.
    Â»Hm, ich

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