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Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt

Titel: Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayse
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Einmal, sie hatten gerade ein Schaf geschlachtet, schickten sie ihr die Haut des Tieres. Richtig, nicht ein paar Stücke Fleisch, wie man es hätte erwarten können, nein, die Haut. Aber Stolz konnte sich meine Mutter nicht leisten. Sie war so verzweifelt, weil sie wieder einmal nicht wusste, wie sie uns satt bekommen sollte, dass sie die Haut gekocht hat, um dem Essen wenigstens ein bisschen Geschmack zu verleihen. Oder ein anderes Beispiel: In der Herde meines Großvaters war ein Tier tagelang krank gewesen. Das hatte ich bemerkt, weil ich ja oft mit meinen Cousins und Cousinen spielte. Als das Tier schließlich starb, rief meine Stiefoma mich zu sich und sagte: » Ayşe , geh und sag deiner Mutter, dass ich Fleisch für sie habe, sie muss nur kommen, um es zu holen.« Ich bin dann voller Empörung nach Hause gelaufen und habe meiner anne unter Tränen die Botschaft überbracht. Auch Mutter war sehr aufgebracht, denn bei uns ist es verboten, das Fleisch eines kranken Tieres zu essen.
     
    Lichtblicke gab es in meiner Kindheit kaum. Glücklich war ich eigentlich nur, wenn ich bei meiner Mutter sein konnte oder mit den Schafen unterwegs war. Die Tiere hüten und versorgen, das war ab einem bestimmten Alter unsere Aufgabe. Mein Bruder war der Kuhhirte. Jeden Morgen bei Sonnenaufgang zog er mit zehn, zwölf Tieren in die Berge, und bei Sonnenuntergangkam er zurück. Ich war für die Schafe und Ziegen zuständig. Auch ich habe mich oft morgens mit den Tieren auf den Weg gemacht und den ganzen Tag auf den Hügeln verbracht. Diese Tage liebte ich besonders. Ich liebte sie vor allem auch deshalb, weil mir meistens meine Cousine Gesellschaft leistete. So konnten wir den ganzen Tag zusammen sein, spielen, im Gras liegen und vor uns hin träumen. Vater war weit weg, und ich genoss die Freiheit.
    Wenn ich Schafe hütete, stand ich vor Sonnenaufgang auf, frühstückte in aller Eile und sammelte dann meine kleine Herde ein. Wir selbst hatten zwei Schafe und vier Ziegen, die sich immer freuten, wenn ich morgens den Verschlag öffnete. Onkel und Tante im Nachbarhaus links von uns hatten drei Schafe und zwei Ziegen. Dazu kamen noch ein paar Ziegen von einer weiteren Tante. Bis ich bei Fidans Eltern an die Tür klopfte, hatte ich an die vierzehn, fünfzehn Tiere beieinander. Fidan war schon fertig und kam freudestrahlend aus dem Haus gelaufen. Auch sie liebte unsere Ausflüge sehr. In der einen Hand hielt sie einen Stock, in der anderen einen Korb mit unserer Verpflegung. Wir wechselten uns ab, einen Tag nahm sie das Essen mit, den anderen ich. Unsere Mütter gaben uns meistens Brot, Käse und Tomaten mit auf den Weg. Zum Trinken brauchten wir nichts, denn dort oben gab es genügend Quellen, aus denen wir trinken konnten.
    Manche Schafe hatten kleine Glöckchen um den Hals, und so zogen wir mit fröhlichem Gebimmel aus dem Dorf hinaus. Hinter den letzten Häusern verengte sich die Schotterstraße zu einem schmalen Weg, und bald erreichten wir die ersten Felder und Äcker. Wir begegneten Onkeln und Tanten, die auf dem Weg zur Arbeit waren. Mit ihnen waren wir nicht wirklich verwandt, aber wir nannten sie so, weil sie Nachbarn und Freunde unserer Eltern waren. Das war bei uns so Brauch. Nach anderthalb Stunden Anstieg hatten wir meistens unser Ziel erreicht – eine saftige Bergwiese, die sich hervorragend für unsere kleine Herde eignete. Die Schafe und Ziegen konnten hier den ganzenTag lang grasen. Wir ließen uns in ihrer Nähe nieder und genossen den zauberhaften Blick ins Tal. Grüne, sanfte Hügel, vereinzelte Baumgruppen, wogende Getreidefelder, und, mitten drin die Häuser von Ballidere.
    Ich liebte meine Heimat. Besonders im Sommer. Im Tal war es heiß, aber hier oben auf den Bergen war es angenehm kühl. Die Luft war sanft wie Seide. Fidan und ich legten uns ins Gras und träumten vor uns hin. Plötzlich schrie meine Cousine auf. »Da schau mal«, rief sie aufgeregt, »was ist das?« Sie war aufgesprungen und zeigte in den azurblauen Himmel. Tatsächlich, dort oben bewegte sich ein silberner Vogel. Auch ich war aufgesprungen, um ihn besser sehen zu können. Aber nein, das war kein richtiger Vogel, es sah nur so aus. Es war ein riesiges Tier mit großen Flügeln, und es flog ganz weit oben. Was war das? Es bewegte sich lautlos und schnell. Hinter sich zog es eine schmale Rauchfahne her. Ich legte mich wieder ins Gras und überlegte, was das sein konnte.
     
    Da fiel mir mein Onkel ein. Der große Bruder meiner Mutter lebte

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