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Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt

Titel: Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayse
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Kamin. Der wurde in der kalten Jahreszeit den ganzen Tag über beheizt. Nur in der Nacht ging das Feuer aus. Abends diente uns das Kaminfeuer auch als Lichtquelle, denn Petroleum war rar und teuer. Nur einmal in der Wochekam ein Versorgungswagen, der die Dorfbewohner mit dem wertvollen Stoff belieferte. Wir nahmen meistens anderthalb Liter, das reichte für gut eine Woche. Ging es uns früher aus, hatten wir eben kein Licht im Zimmer, nur den offenen Kamin. Die Böden in unserem neuen Haus waren aus Holz. Wir hatten sie mit annes Teppichen belegt, und an den Fenstern hingen geblümte Vorhänge. Das wirkte alles sehr heimelig und gemütlich.
    Unser Haus hatte einen weiteren Luxus, eine große Terrasse. Im Sommer spielte sich dort das Leben ab. Hier saßen die Frauen auf dem Boden und schwatzten miteinander oder halfen einander bei der Arbeit – das kam oft vor. Zum Beispiel im Spätsommer, wenn sie Bulgur zuzubereiten hatten. Zunächst musste der Weizen gekocht und getrocknet werden. Danach wurde er in einem großen Steingefäß mit einem Stock zerstoßen, so dass die Schale vom Korn absprang. Dann wurde der Weizen wieder gekocht und anschließend auf Tüchern in der Sonne getrocknet. Das dauerte Tage, weil der Weizen sehr hart sein musste. Erst danach konnte er gemahlen werden. Dazu benutzten die Frauen zwei große, runde Steine, die übereinander gelegt wurden. Der obere hatte einen Griff und ließ sich drehen. Dazwischen legten sie die bereits zerstoßenen Weizenkörner und drehten den oberen Stein so lange, bis der Weizen grobkörnig gemahlen war. Das war eine wichtige Arbeit, denn Bulgur gehörte in meiner Kindheit zu den Grundnahrungsmitteln.
    Meine Mutter machte auch Butter, Buttermilch und Käse selbst. Die Milch bekamen wir von einem Nachbarn. Sie musste zunächst abgekocht werden. Danach stellte anne die Milch zwei, drei Tage zum Gären beiseite, an einen warmen, dunklen Ort. War der Joghurt fertig, schüttete sie etwa fünf Liter in ein Butterfass und kippte Wasser dazu, danach wurde die Flüssigkeit mit einem Holzklöppel so lange geschlagen, bis die Butter fertig war. Als Nebenprodukt entstand dabei Buttermilch. Ayran liebten wir Kinder besonders. Es gab ihn oft zur Bohnen- oder Kichererbsensuppe.
    Meine Mutter war eigentlich rund um die Uhr mit der Lebensmittelbeschaffungbeschäftigt. Ab Februar baute sie Gemüse an, ab Frühsommer wurde geerntet und die verschiedenen Früchte bis in den Herbst hinein weiterverarbeitet. Meine Familie war, wie die meisten im Dorf, Selbstversorger. Den Weizen und Roggen, den wir anbauten, haben wir in die Mühle meines Großvaters gebracht und Mehl dafür bekommen. Den Mais aßen wir solange es ging frisch, und im Winter war er getrocknet und konnte in der Suppe gekocht werden.
     
    Obwohl anne ein hartes Leben hatte und viel aushalten musste, war sie ein fröhlicher Mensch. Ich kann mich nicht einmal erinnern, dass sie uns je geschimpft oder gar geschlagen hätte. Wie unglücklich sie in ihrer Ehe tatsächlich war, habe ich als Kind nicht begriffen. Auch als ich größer war, hat sie mit mir nie darüber gesprochen. Viele Dinge habe ich erst vor kurzem erfahren. So soll mein Vater sogar einmal überlegt haben, sich scheiden zu lassen. Nein, er hatte nicht vor, seine erste Liebe zu heiraten, er wollte einfach gehen. Sein Bruder Ahmed hatte ihn auf die Idee gebracht. Der hatte anscheinend mitbekommen, wie unglücklich die Ehe meiner Eltern war, und schlug ihm eines Tages vor, zu ihm und seiner Familie nach Deutschland zu kommen. Dort gäbe es auch die passende Frau für ihn. Sie hätten sich schon umgeschaut, er bräuchte eigentlich nur noch zu kommen.
    Als meine Mutter das mitbekam, war sie wie versteinert. Wir Kinder waren noch allesamt ziemlich klein, und sie war wieder schwanger. Sein Plan, sie zu verlassen, erschütterte sie bis ins Innerste, nicht, weil sie ihn so sehr liebte, sondern, weil sie nicht wusste, wie sie uns drei, vielleicht vier Kinder alleine durchbringen sollte. Sie entschied sich für die Flucht nach vorne und sagte zu ihm: »Mehmet, wenn du dir wirklich sicher bist, dass du nicht mehr mit uns leben willst, dann geh und lass mich mit den Kindern sitzen. Aber der Herrgott wird dich dafür bestrafen.« Erhobenen Hauptes verließ sie den Raum, aber kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen, rannte sie aus dem Haus, hinaus aufs Feld. Schluchzend kam sie dort an. Sie war verzweifelt.
    Auf dem Feld gab es eine Art Unterstand. Während der Arbeit aßen

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