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Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt

Titel: Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayse
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suchen, um nur ja keinen Verdacht zu erregen. Mein Vater wurde sofort misstrauisch und fragte, was ich denn um diese Zeit im Haus zu suchen hätte. Als ich ihm sagte, ich müsste für Mutter etwas holen, glaubte er mir und verließ das Haus. Ich rannte raus und fing an, im Garten nach meinem Butterbrot zu suchen. Da lag es, unter einem Busch. Aber wie hätte es anders sein können, es lag mit der Butterseite nach unten auf der Erde, und zu allem Überfluss hatten sich auch noch Ameisen darüber hergemacht. Da stand ich nun, mein Magen knurrte, aber essen konnte ich mein Brot nicht mehr. Damals habe ich vor lauter Kummer bitterlich geweint. Hätte mein Vater bemerkt, warum ich tatsächlich im Haus gewesen war, wäre bestimmt wieder eine Tracht Prügel fällig gewesen.
     
    Ohne meine Mutter und die Großeltern hätte ich meine Kindheit wahrscheinlich nicht überlebt. Meine Mutter hat mich geliebt, und ihre Eltern, meine Großeltern, haben mich beschützt. Wenn es zu Hause ganz schlimm wurde, flüchtete ich mich zu ihnen. Mal allein, mal mit den Geschwistern. Die Mühle meines Großvaters lag eine halbe Stunde Fußmarsch von unserem Dorf entfernt. Sie gehörte ihm nicht, aber Großvater hatte sie viele Jahre lang gepachtet und seinen Lebensunterhalt damit verdient. Für mich war sie zur zweiten Heimat geworden.
    Ich weiß nicht, wie oft ich dort Schutz suchte, aber an ein paar besonders dramatische Ereignisse erinnere ich mich noch heute. Zum Beispiel die Fensterscheibe. Ich war allein zu Hause. Es war Mittagszeit. Ich stand am Herd und kochte eine Joghurtsuppe.
    Das ist eine ziemlich schwierige und langwierige Angelegenheit, weil man die Suppe ständig rühren muss, bis sie kocht. Ich war also mit dem Kochtopf beschäftigt, als es plötzlich klirrte, und die Scherben flogen. Irgendjemand hatte einen Stein durch unser Fenster geworfen. Ich war sehr erschrocken, konnte aber nicht nachschauen, weil mir sonst die Suppe misslungen wäre. Also habe ich weiter gerührt, bis sie fertig war. Dann habe ich mir das Malheur angesehen. Überall kleine und große Glassplitter, und der Steinewerfer war natürlich längst über alle Berge. Da bin ich wieder zum Feld gelaufen, um meiner Mutter und den Geschwistern das Essen zu bringen. Ich erzählte ihr, was passiert war, und sie glaubte mir. Anders mein Vater. Als er am späten Nachmittag aus dem Kaffeehaus kam und die zerbrochene Scheibe sah, brach ein Donnerwetter los. Ich versuchte zu erklären, was passiert war, aber das drang überhaupt nicht zu ihm durch.
    Es lief immer nach dem gleichen Schema ab. Er schrie, tobte und schlug zu. Mit der geballten Faust schlug er uns auf Schultern und Rücken, und wenn man zu Boden ging, trat er einen mit den Füßen. Dann riss er die Tür auf, warf uns hinaus, schmiss die Haustür ins Schloss und verriegelte sie – das war’s. Wir Kinder konnten sehen, wo wir blieben. So war es auch nach der kaputten Scheibe, ich hörte ihn drinnen noch lange herumbrüllen und die Mutter weinen. Aber ich wusste, es hatte keinen Sinn, ihn zu bitten, uns wieder hineinzulassen. Es war ihm egal, wo wir die Nacht verbrachten. Wie so oft machten wir drei Kinder uns also auf den Weg zur Mühle. Es war schon fast dunkel, als wir endlich – völlig erschöpft und verängstigt – bei den Großeltern ankamen. Meine anneanne wusste sofort, was geschehen war, schließlich war es nicht das erste Mal, dass wir abends vor ihrer Türe standen. Sie begrüßte uns liebevoll, holte Teller und gab uns erst einmal etwas zu essen. Dann richtete sie unser Bett, eine große Matratze direkt neben dem Ofen, wo wir uns dicht nebeneinander legten und bald selig einschliefen. Am nächsten Morgen, nach dem Frühstück, machten wir uns wieder auf den Weg nach Hause. Dort war inzwischen Friede eingekehrt, und meinVater tat so, als sei nichts gewesen. Aber ich konnte ihm diese Aussetzer nicht verzeihen. Schon als Kind wünschte ich mir oft, er wäre tot.
    Meine Großeltern haben uns immer unterstützt, obwohl sie selber nichts hatten. Oft hat mein Opa frisch gemahlenes Mehl vorbeigebracht, oder meine Oma hat anne bei der Arbeit geholfen oder uns Kinder übernommen. Hilfe, die sie ansonsten nicht erfahren hat. Von ihrer Schwiegermutter, der Stiefmutter meines Vaters, hatte sie – außer Bosheiten – nichts zu erwarten. Nie haben ihr die Schwiegereltern unter die Arme gegriffen. Im Gegenteil, oft haben sie ihr das Leben besonders schwer gemacht und sie beleidigt, wo sie nur konnten.

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