Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt
drei jüngeren zu mir holen wollte. Can war inzwischen volljährig und gab mir sowieso die ganze Schuld an dem Zerwürfnis mit Mustafa. Nie würde er bei mir wohnen wollen. Frau M. suchte mir dann die Adresse eines Anwalts heraus und hat auch gleich für mich dort angerufen. Wir machten einen Termin, und sie versprach mitzukommen. Dann klärte sie mich weiter auf. Ich müsse das vorläufige Sorgerecht beantragen und gleichzeitig die Scheidung einreichen. Außerdem bräuchte ich eine Wohnung, denn ohne ausreichenden Wohnraum würde ich die Kinder nicht bekommen. Jetzt wurde mir die ganze Tragweite meines Handelns bewusst. Was hatte ich getan? Aber zurück konnte ich nun nicht mehr, jetzt war es endgültig zu spät.
Mit Zoran Jankovic lief es gut. Er war sehr zuvorkommend und liebenswürdig. Fast jeden Abend kam er mich besuchen. Manchmal sind wir, wenn es dunkel war, aus dem Haus geschlichen und mit seinem Auto irgendwohin gefahren, wo uns keiner kannte. Er hat mich zum Essen eingeladen, oder wir sind einfach nur spazieren gegangen. Stundenlang hat er mir zugehört, und ich konnte mir mein ganzes Unglück von der Seele reden. Das half. Trotzdem war ich sehr unglücklich. Ich wusste nichts von den Kindern. Wo sie waren, wie es ihnen ging. Vermissten sie mich? Was hatte Mustafa ihnen erzählt? Am liebsten hätte ich sie gleich zu mir geholt, aber ich steckte in einer Zwickmühle: Ich würde die Trennung von Mustafa nur ohne Kinder durchstehen können. Nur ohne sie konnte ich mein Leben neu organisieren, wieder arbeiten und eine passende Wohnung suchen. Jetzt mussten sie erst mal beim Vater bleiben. Aber war das Risikonicht zu groß? Würde er nicht auch in Deutschland das Sorgerecht bekommen? Immerhin war ich gegangen. Ich hatte keine Ahnung.
In den ersten Wochen nach meiner Flucht wohnte ich abwechselnd bei Herrn Jankovics Bruder und bei ihm. Zu dieser Zeit hatten wir nichts miteinander. Ich mochte ihn schon, aber ich konnte mich noch nicht auf ihn einlassen. Es war alles noch zu frisch. Wenn ich bei ihm übernachtete, schlief er im Wohnzimmer auf der Couch und ich in seinem Schlafzimmer. Er nahm mich schon ab und zu in den Arm und hat mich auch geküsst, aber weiter ist er nicht gegangen. Ich war inzwischen beim Anwalt gewesen und hatte das vorläufige Sorgerecht beantragt. Kurz darauf teilte mir die Frauen-Beratungsstelle mit, dass Mustafa mich beim zuständigen Jugendamt wegen der Kinder treffen wolle. Das Jugendamt würde für dieses Treffen auch einen Dolmetscher organisieren.
Ich war furchtbar aufgeregt. Wie würde Mustafa reagieren, wenn er mich sah? Was hatte er vor? Als ich ihm dann gegenüberstand, habe ich ihn fast nicht wieder erkannt. Er sah schlecht aus und fing sofort an zu weinen. Er stammelte: » Ayşe , Ayşe , ich liebe dich doch. Komm zu mir zurück.«
Ich konnte es nicht fassen. Er hatte unseren Sohn fast umgebracht, mich krankenhausreif geschlagen und wollte, dass ich zu ihm zurückkäme. Ich rief: »Nein, nein, ich kann nicht!«, und wäre am liebsten gleich wieder gegangen.
Der Mann vom Jugendamt übernahm das Gespräch und fragte Mustafa, was seiner Meinung nach mit den Kindern passieren solle. Da hat er auf Türkisch erklärt, dass die Kinder natürlich bei ihm bleiben würden. »Und sie«, sagte er und deutete auf mich, »wird sie nie wieder sehen. Denn eine Mutter, die ihre Kinder verlässt, hat kein Anrecht mehr auf sie.« Der anwesende Dolmetscher fing an zu übersetzen, aber da fiel ihm Mustafa ins Wort und sagte auf Deutsch, das sei in seiner Kultur eben so, »die Kinder bleiben nach der Scheidung beim Vater«.
Der Mann vom Jugendamt stutzte und fragte mich nach meinerMeinung. Für mich war klar, Mustafa war ihr Vater, und er hatte ein Recht, seine Kinder zu sehen, egal welche Schwierigkeiten wir Eltern miteinander hatten. Das habe mit den Kindern überhaupt nichts zu tun. Der Mann vom Jugendamt sagte dann zu Mustafa, dass er mit seiner Einstellung die Kinder höchstwahrscheinlich nicht bekommen würde. Als der Dolmetscher diesen Satz übersetzt hatte, war ich unendlich erleichtert. Zum ersten Mal in all diesen Wochen konnte ich wieder durchatmen. Mir würde das Sorgerecht für die Kinder zugesprochen, da war ich mir jetzt sicher.
Als Nächstes brauchte ich ein Auto. Denn nur wenn ich motorisiert war, konnte ich mir eine Wohnung in einem Nachbardorf nehmen, ich wollte nicht mehr in unserer Gemeinde wohnen. Das war mir viel zu nah an Mustafa und seiner Sippe. Ich sprach
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