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Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt

Titel: Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayse
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die ich im Laufe der Zeit näher kennen gelernt hatte, hatte ich niemanden. Sie erledigten die Einkäufe oder kochten gleich für uns mit. Ich konnte zwar kaum etwas essen, aber die Kinder waren wenigstens versorgt. Seit meiner Scheidung war alles auseinander gegangen, der Familien-Clan existierte weiter ohne mich. Kontakt zu den alten Freundinnen hatte ich keinen mehr. Selbst meine beste Freundin Hatice hatte ich aus den Augen verloren. Ich glaube, sie hatte sich inzwischen ebenfalls von ihrem Mann getrennt, und ich wusste nicht einmal, ob sie noch in Deutschland lebte. Eigentlich machte mir das nichts aus. Ich lebte eben sehr zurückgezogen, aber in Krisensituationen wäre es schon schön, nicht alleine zu sein.
    Kontakte zur Außenwelt ergaben sich nur durch die Arbeit und die Kinder. Ali ging alle zwei Wochen zu seinem Vater und sah dort seine Brüder und die Großeltern. Manchmal ging auch Birgül hin, aber nicht so oft. Und die beiden haben mir immer berichtet, wenn es in der Familie oder in Ballidere etwas Neues gab. Etwa, wer heiratete oder ein Kind bekam. So erfuhr ich eines Tages, dass es bald wieder eine Hochzeit zu feiern gäbe.
    »Mama, Mama, stell dir vor, Can heiratet!«, rief Birgül, als sie nach Hause kam.
    Diese Nachricht schlug bei mir ein wie eine Bombe. Ich musstemich erst mal hinsetzen. Wer heiratet? Mein Ältester? »Aber wen denn, um Gottes Willen?«, fragte ich perplex.
    »Ich habe sie nur kurz kennen gelernt, Mama, aber sie ist ganz nett, glaube ich. Ach, und du bist auch eingeladen«, sagte sie und zauberte einen Umschlag aus der Tasche. Sie gab ihn mir und sagte stolz: »Das ist für dich.« Ich war völlig verwirrt, mein Erstgeborener wollte heiraten, und ich kannte nicht mal seine Braut. Ich öffnete den Umschlag und gab Birgül resigniert den Brief zum Vorlesen. Eifrig las sie: »Wir, Can und Cansu, laden herzlich zu unserer Hochzeit ein.« Mir kamen die Tränen, und ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
    Gut, ich hätte Mustafa anrufen und ihn fragen können, wen unser Sohn sich ausgesucht hatte, aber das wollte ich nicht. Birgül hatte natürlich sofort gemerkt, dass mich die Neuigkeiten erschüttert hatten, und versuchte mich zu beruhigen. »Du kommst mit Ali und mir, Mama, das ist doch klar.« Erst später hat sie mir erzählt, dass nicht Can ihr die Einladung gegeben hatte, sondern seine zukünftige Frau Cansu. Aber wer war sie? Woher kam sie? Und warum hatte mein Sohn sie mir nicht persönlich vorgestellt? Birgül erzählte mir ein bisschen von Cansu, dass sie auch Deutschtürkin sei, dass die beiden sich hier in Deutschland kennen gelernt haben und sie gerade ein Studium abgeschlossen habe. Offensichtlich hatte mein Sohn genauer hingesehen, wen er heiratete. Das freute mich. Aber nach und nach sickerte auch durch, dass ich offiziell zwar eingeladen, aber nicht willkommen war. Meine Schwiegermutter hatte wohl wortwörtlich gesagt: »Wenn die kommt, dann gehen wir, und zwar alle.« Damit war die Sache klar, für mich zumindest.
    Der Hochzeitstag rückte näher. Obwohl ich wusste, dass ich wahrscheinlich nicht hingehen würde, hatte ich Geschenke gekauft. Dafür war ich extra in die Stadt zu einem Juwelier gefahren und hatte schönen Goldschmuck ausgesucht, ein paar Armreife, einen Ring und eine passende Kette. Das war nicht billig. Egal, es war schließlich mein Ältester, der heiratete. Insgeheim hoffte ich natürlich, dass er mich zur Hochzeitsfeier abholenwürde. Die Kinder waren schon weg, als ich mich anzog und die Geschenke einpackte. Ich grübelte, ob Birgül sich nicht doch verhört hatte und Mutter gar nicht gedroht hatte.
    Fertig angezogen und zurechtgemacht, wartete ich also. Can würde doch sicher kommen. Immer wieder ging mir Mutters Drohung durch den Kopf. Bestimmt würde Can sie ignorieren, oder? Es regnete stark an diesem Tag im Juni. Und es wurde immer später. Nervös kramte ich die Einladung hervor und las erneut das Datum: 22. Juni 2001, siebzehn Uhr, stand da, und jetzt war es schon gleich halb acht. Wie ein Tiger im Käfig bin ich vom Wohnzimmer in die Küche gelaufen, immer hin und her. Mal habe ich aus dem einen Fenster, mal aus dem anderen geschaut. Aber es war kein Auto in Sicht! Mein Sohn hatte mich vergessen! Er hatte ohne seine Mutter geheiratet. Als es dunkel war, habe ich die Hoffnung aufgegeben. Verzweifelt zog ich meine schönen Sachen aus und legte mich ins Bett. Niemand würde mehr kommen und mich abholen! Ich versuchte zu schlafen. Vergeblich.

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