Michael, der Finne
zurechtschnitzten und sie dann zu schwindelerregenden Preisen als echte Alraunen verkauften.«
Wir sprachen später noch ein paarmal scherzend von Alraunen und fragten uns, was wir wohl täten, wenn wir eine fänden und ihre Ausgrabung überlebten; bald aber vergaßen wir die Sache. Wir begannen das Hündchen, unseren Gefährten und treuen Freund, zu lieben. Sein Name wurde bald zu Rael, und ich vergaß, glaube ich, ganz das Zauberwort, dessen Abkürzung er war.
Wir waren sehr glücklich, und doch quälte mich manchmal des nachts ein unaussprechlicher Druck, der mir selbst den Atem stocken ließ. Auch Barbara fühlte ihn; oft kam sie dann zu mir und drückte ihr Gesicht an meinen Hals. In solchen Nächten lagen wir schweigend und eng umschlungen im Bett, als fürchteten wir insgeheim, einander zu verlieren. Wenn ich freilich heute daran denke, so will mir scheinen, als wären dies unsere allerbesten Stunden gewesen, da wir einander so nahekamen, wie es zwei Menschen nur vergönnt sein kann, obgleich wir kein Wort sprachen.
So verging das Jahr. Wir waren nicht die einzigen, welche die Zukunft fürchteten, doch die großen Planeten trafen sich im Februar, ohne daß sich etwas Nennenswertes ereignete. Grün lachte der Frühling rings um die Stadt, und die Sonnenstrahlen leuchteten auf dem Zinngeschirr auf dem Marktplatz. Ich war noch jung und vergaß meine schlimmen Vorahnungen. Ich freute mich des Lebens, wenn es auch gar karg und dürftig war und zuweilen bitter schmeckte. Aber diese rasch dahineilenden Frühlingswochen nahmen meine letzte glückliche Zeit mit sich hinweg. So will ich denn dieses Buch mit dem Frühling des Jahres 1524 beenden und das sechste beginnen – das bitterste von allen.
SECHSTES BUCH
DER SCHEITERHAUFEN AUF DEM MARKTPLATZ
1
Ich habe im Laufe meines Lebens viel Seltsames und Unerklärliches gesehen und möchte nicht leugnen, daß es so etwas wie Hexerei wirklich gibt. Ich habe gewisse Erfahrungen meiner Kinderzeit in Jungfer Pirjos Hütte nicht vergessen. Überdies liegen zu viele Bestätigungen aus verschiedenen Ländern vor, als daß ein denkender Mensch sie einfach abtun könnte. Der überzeugendste Beweis ist vielleicht der, daß selbst der Erzketzer Doktor Luther mit dem Papst darin einer Meinung ist. Doch über die beste Art der Untersuchung, des Urteils und der Strafe kann man geteilter Meinung sein, und ich werde bis ans Ende meiner Tage behaupten, daß die von der heiligen Kirche angewandten Methoden falsch und grauenvoll sind, wenn ich auch selbst für diese Überzeugung auf dem Scheiterhaufen enden sollte.
Ferner glaube ich, daß vieles, was in der Regel für Hexerei gehalten wird, ein bloßer Ausdruck der ewigen menschlichen Sehnsucht nach einem Abkürzungsweg ist – einer Sehnsucht, die in uns allen schlummert und mit seelischem Leid erwacht. Sie verdient daher meiner Meinung nach weder Verdammung noch Strafe; keineswegs aber die grausamen Strafen, welche die Kirche auferlegt. Der vermeintliche Abkürzungsweg ist nämlich eine Täuschung, und Täuschungen verdienen ebensowenig Strafe wie Träume.
Aber Barbara war keine Täuschung. So ist es leicht, mich wegen meiner ketzerischen Gedanken zu verlachen und zu verspotten, zu erklären, ich sei selbst der beste Beweis dafür, daß es wirklich Hexerei gebe, da Barbara mich bezaubern konnte, so häßlich, rothaarig und sommersprossig sie war.
Später erkannte ich, daß die heilige Kirche ihres Todes bedurfte, um ihre Macht zu erweisen. Aber sie starb nicht als Märtyrerin, sondern als Hexe, da sie die Schwarze Kunst geübt habe. Und dies erkläre ich für ein schreiendes Unrecht und eine Schande für die Kirche, obwohl es mir heute fernliegt, die Kirche anzuklagen, und mich mit der Feststellung begnügen will, daß sie schlechte Diener hatte. Freilich fällt es mir schwer, Pater Angelo, den ich kannte, zu tadeln, denn ich bin überzeugt, daß er bei der Ausübung seines schweren Amtes in gutem Glauben handelte.
Ich habe nie entdecken können, ob die ganze Sache schon in der Kurie oder bloß am Hof des Fürstbischofs geplant wurde, bin aber überzeugt, daß der Kirche in ihrer Gesamtheit daran lag, angesichts der ketzerischen Prediger, die eine immer zügellosere Sprache führten, ein Exempel zu statuieren. Sebastians Lehre von Gottes Gerechtigkeit war in aller Munde und die evangelische Irrlehre bereits so weit verbreitet, daß es niemand wagte, die Schuldigen zu verurteilen, weil das die Verhaftung und Hinrichtung der halben
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