Michael, der Finne
Angelo saß gelassen und unbeweglich in seinem Stuhl und betrachtete mich mit klaren, forschenden Blicken. Er stützte seine schönen, schlanken Hände auf die Armlehnen und ermutigte mich durch kurze Fragen, wenn ich zögerte. Ich erzählte ihm alles, was mir widerfahren war, wahrheitsgetreu und ohne Vorbehalt. Als ich geendet hatte, saß er lange Zeit ruhig da, während er mich mit seinen klaren Augen immer noch ansah.
Schließlich sprach er mit einem tiefen Seufzer: »Michael Pelzfuß, ich glaube, was Ihr sagt, und will gut von Euch denken, da Ihr ja zur Sühne für Eure Sünden ins Heilige Land unterwegs ward, als die Hexe Euch fand und Euch in ihre Gewalt brachte. Aber Euch gebricht es an Erfahrung, und Ihr könnt die schreckliche Natur der Sache, mit der wir es nun zu tun haben, nicht verstehen. Dennoch hoffe ich, wir werden mit Gottes Hilfe alles zu einem glücklichen Ende führen können, und ich muß Euch daher einige Fragen stellen.«
Seine Haltung versteifte sich; er saß wie aus Stein gehauen. Die sanften Augen standen plötzlich mit dem kalten, harten Blick eines Richters über mir.
»Michael Pelzfuß«, hub er an, »glaubt Ihr an Hexen und Hexerei?«
Ich schlug ein Kreuz und antwortete: »Gott verhüte, daß ich an irgend etwas zweifle, was die Kirche lehrt; ich bin ja kein Ketzer. Natürlich gibt es Hexen, allein mein Weib Barbara ist unschuldig.«
Er entgegnete: »Glaubt Ihr, daß die von der heiligen Kirche verurteilten Hexen schuldig waren und nur die gerechte Strafe für eine überaus abscheuliche Sünde erlitten?«
Ich senkte den Blick und dachte nach, mußte aber schließlich mit leiser Stimme erwidern: »Ich muß es glauben, denn die heilige Kirche kann nicht irren.«
Aber in den geheimen Tiefen meiner Seele regte es sich, und ich konnte ihm nicht in die Augen sehen, als ich die Antwort gab.
Er sank in seinen Stuhl zurück, und wider leuchtete Wärme aus seinen klaren Augen.
»Michael, mein Sohn, Ihr habt den wahren Glauben und seid kein Ketzer. Daher müßt Ihr auch glauben, daß Gerechtigkeit und nichts als Gerechtigkeit geschehen wird. Die Überführung von Hexen ist eine schwere und schreckliche Aufgabe, welche die geistige Kraft des Richters auf die Probe stellt. In meiner Schwäche habe ich tausendmal über das furchtbare Amt gestöhnt, mit dem der Heilige Vater mich betraut hat. Der Satan packt mich an meinen schwächsten Stellen; nur durch unablässiges Gebet und Abtötung des Leibes kann ich die Zweifel überwinden, die er mir ins Ohr flüstert. Betet daher ebenfalls, Michael – betet um Eurer Seele willen –, betet, daß ich meine Schwäche überwinde und gleich einem echten Richter Satans Ränke aufdecke, wenn ich diesen schlimmen Fall untersuche.«
Seine Bitte legte Zeugnis ab von einem so schmerzlichen Seelenkampf, einer solchen Seelenreinheit und Festigkeit, daß meine eigene Furcht neben der geistigen Angst dieses heiligen Mannes zur Bedeutungslosigkeit herabsank.
»Pater Angelo«, meinte ich demütig, »ich will aus ganzem Herzen beten, daß Gott Euch helfen möge, die Wahrheit zu finden. Am inbrünstigsten aber will ich für mein Weib Barbara beten, auf daß ihr nichts Böses widerfahre.«
Pater Angelos Antwort war ein leichtes Kopfschütteln.
»Michael, mein Sohn, mit Gottes Hilfe werde ich die Wahrheit finden. Doch stand ich noch nie vor einer so schweren Aufgabe, denn ich muß sowohl die Hexe mit zwingenden Beweisen überführen als auch zugleich Eure verblendete Seele von Zweifeln befreien, so daß Ihr in vollem Vertrauen auf die Gerechtigkeit der heiligen Kirche fromm gestehen könnt, daß Gerechtigkeit gewaltet hat, und Ihr dies nicht allein mit den Lippen, sondern aus innerstem Herzen bekennt.«
Dann stellte er mir viele eingehende Fragen, wie Barbara mich gefunden, wie sie mich während meiner Krankheit gepflegt und wie wir Mann und Weib geworden seien. Er fragte auch nach unserem Hund und wollte wissen, wie sich der Steuereinnehmer den Arm gebrochen hatte, woraus ich erkannte, daß er über uns sehr wohl unterrichtet war. Allein ich beantwortete alle seine Fragen freimütig und offen und widersprach mir kein einziges Mal, wenn er sie in verschiedenem Wortlaut stellte.
Schließlich fragte er: »Gingt Ihr beide regelmäßig zur Messe und zur Beichte, und empfingt Ihr gemeinsam das heilige Sakrament?«
Ich mußte gestehen, daß wir unsere religiösen Pflichten etwas vernachlässigt hatten, jedoch nur, weil Barbara unter der Feindseligkeit der Mitmenschen
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