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Michael, der Finne

Michael, der Finne

Titel: Michael, der Finne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Waltari
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jedermann nach seinem Rang und Stand vorgeschrieben. Keiner braucht im Laufe seines ganzen Lebens über irgend etwas den geringsten Zweifel zu hegen. Und nun müssen ein paar Heißsporne versuchen, dies alles umzustürzen.«
    Ich bemerkte, die Welt sei keineswegs ein so wohlbestellter Ort, wie Meister Lotzer offenbar glaube, und ich hätte schon zu viel Gewalttat, Schmerz, Armut und Verzweiflung miterlebt.
    Er pflichtete mir bei, setzte jedoch hinzu: »Eine von Menschen gemachte Ordnung ist natürlich fehlerhaft und unvollkommen, selbst wenn ihre Grundlagen göttlichen Ursprungs sind; wir können eine gewisse Unruhe von Zeit zu Zeit ebensowenig vermeiden, wie wir der Krankheit und dem Tode entrinnen können. Aber solche Störungen sind geringfügig, verglichen mit den Segnungen, die unsere große Gesellschaftsordnung uns beschert. Nichts kann törichter sein, als die Kirche samt ihren Lehren zu untergraben, denn die Kirche ist unser Fundament. Fällt sie, so stürzt alles ein, und das Jüngste Gericht ist da.«
    Ich wollte mit Meister Lotzer nicht streiten, sondern nur das Gespräch fortführen, denn ich war einsam und verlassen, und seine Stube bot eine warme und sichere Zufluchtsstätte in jenem rauhen Herbstwetter. Daher sprachen wir eine Weile über diese Dinge, bis ich aus Gründen der Schicklichkeit nicht länger bleiben konnte; dann nahm ich Abschied.
    Der Gerichtsdiener und sein Weib waren wieder in den Rathauskeller eingezogen und hatten sich unser Bett und die paar übrigen Möbelstücke angeeignet. Ich machte ihnen aber keine Vorwürfe, brachte ich’s doch nicht übers Herz, auch nur einem Menschen einen Vorwurf zu machen; sie beherbergten mich in der Güte ihrer Herzen für die Nacht. Es schmerzte mich, zu sehen, wie Rael sich über die Rückkehr ins alte Heim freute und wie er eifrig nach Barbara suchte, bis er ermüdet an meiner Seite einschlief.
    Ich beschloß, Memmingen zu verlassen. Meinen Reisekoffer vertraute ich der Obhut des Gerichtsdieners an, der mir versprach, ihn zu hüten, aus Dank, daß ich ihm und seinem Weib keine Unannehmlichkeiten bereitete. Als ich aber vor dem Verschließen des Koffers meine Sachen musterte, stieß ich auf einen venezianischen Spiegel, den ich aus des Kommissärs Haus mitgenommen hatte. Darin sah ich, daß mein Haar verfilzt, meine Wangen eingefallen waren und meine Augen starr blickten; ich wunderte mich denn auch nicht länger, daß sich die Leute auf der Straße umwandten und mir nachsahen.
    »Michael Pelzfuß«, sprach ich zu meinem Spiegelbild, »wer bist du, was willst du und wohin des Weges?«
    Mein Spiegelbild aber schwieg. Statt seiner antwortete ich: »Michael Pelzfuß, du bist ein ehrloser Schwächling von unlauterer Abkunft, aus dem fernen Abo. Allen, die dich liebten, hast du nur Unheil gebracht; du bist verflucht, ob mit Recht oder Unrecht. Deine Mutter ertränkte sich, weil sie die Schande deiner Geburt nicht überleben wollte, und wenn du heimkehrst, so wird dich nur der Galgen freudig willkommen heißen, weil du leichtgläubig warst, ehrgeizigen Männern dientest und den Traum vom geeinten, mächtigen Norden träumtest. Was willst du also, Michael Pelzfuß?«
    Rael spürte meine Verzweiflung, kam herbei und legte seine Schnauze an meinen Arm; und des Hundes Mitleid rührte mich so, daß ich den wertvollen Spiegel in Trümmer schlug. Ich drückte das Gesicht an Raels warmen Pelz und weinte gar bitterlich, während er mir tröstend Ohr und Hals leckte.
    »Wohin nun, Kleiner?« fragte ich ihn. Da ich aber nur einen verwunderten Blick als Antwort bekam, fuhr ich selbst fort: »Wir wollen deine Herrin suchen; die wird uns wohl guten Rat wissen.«
    Ich hatte Geld genug, eine Universität zu beziehen und zwei Jahre oder länger bescheiden davon zu leben. Allein das wollte mir nicht mehr schmecken. Ich hätte auch meine unterbrochene Pilgerfahrt wiederaufnehmen können; das war aber seit dem Fall von Rhodos ein Glücksspiel geworden; auch fehlte mir, seit ich jenen unbesonnenen Eid am Blutgerüst geschworen hatte, der rechte Wille dazu.
    Ich verschloß meinen Koffer und machte mich auf den Weg, Barbara zu suchen. Nur die Kleider, die ich am Leibe trug, etwas Wäsche zum Wechseln, die lateinische Bibel und Meister Fuchs’ Flinte nahm ich mit. Ich dachte kaum daran, daß ich nicht der einzige war, der in jenen Spätherbsttagen so ziellos umherwanderte. Sebastian war diesen Weg vor mir gegangen, und viele verließen Heim, Werkstatt, Schule und Pflug, ohne

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