Michael, der Finne
ihn in unserer Habgier in Stücke gerissen, wäre nicht de Lannoy, der Vizekönig von Neapel, vorgesprengt und hätte uns mit der flachen Klinge verdroschen. Wir machen Platz, König Franz setzt sich auf und wischt sich das Blut vom Gesicht, denn er ist im Gesicht und an einer Hand verletzt. Kein Wunder! Wir rufen unsere Namen und fordern unseren Anteil an dem Preis, de Lannoy aber entwindet einem Spanier des Königs Schwert, reicht es Seiner Majestät, kniet vor ihm nieder und bittet ihn, sich dem Kaiser zu ergeben. Der Herzog von Bourbon sprengt auch im Galopp herbei, aber König Franz spuckt ihm Blut ins Gesicht, ruft ›Verräter!‹ und händigt de Lannoy sein Schwert aus. In zwei Stunden ist alles vorbei. Zwanzigtausend Mann liegen tot im Park, Franzosen und Deutsche, Schweizer und Spanier, Herren und Knechte, Ritter in vergoldeter Rüstung und rauhe Pikeniere, alle kunterbunt durcheinander. Unsere Beute ist riesengroß, unser Sieg noch größer. Wir brüllen, singen, plündern und schwelgen nach Herzenslust, und in unserer Freude vergessen wir unserer Schmerzen und Wunden.«
Andy holte tief Atem, fegte Messer, Gläser und Knochen beiseite, zum Zeichen, daß die Schlacht vorbei sei, und ließ die Hosen herab, um einen gut verheilten Dolchstich in seinem stämmigen Oberschenkel zu entblößen. Die Witwe befühlte, angenehm berührt, den Schenkel und meinte bewundernd, er sei eisenhart.
Andy aber zog die Hosen wieder hoch und fuhr fort:
»Wir hatten so viele Gefangene, daß wir etwa viertausend Schweizer und Franzosen lieber laufen ließen, statt sie durchzufüttern, denn sie waren arm und hätten uns nichts eingebracht. Aber wir fingen auch viele edle Herren, und ich kann mich über meinen Gewinn nicht beklagen. Für den König aber erhielten wir keinen roten Heller, denn Tausende waren bereit, bei der Heiligen Jungfrau zu schwören, sie hätten als erste Hand an ihn gelegt, und so befahl de Lannoy, wir sollten uns alle zum Teufel scheren: er habe den König gefangengenommen, und alle Anwesenden könnten bezeugen, daß ihm der königliche Gefangene sein Schwert eingehändigt habe.«
»Ja, ja, man kennt die vornehmen Herren«, warf die Witwe ein. »Von ihrer einem Gerechtigkeit fordern heißt, einen Igel fassen wollen. Es bleiben einem nur die Stacheln in der Hand zurück.«
Andy leerte einen Becher Wein, blickte mich ernsthaft an und bemerkte: »Michael, mein Bruder, ich habe mit dir von der hohen Politik gesprochen und dir von der Schlacht bei Pavia erzählt, in der dreißigtausend wohlausgerüstete, erfahrene Soldaten unter der Führung hervorragender Feldherren eine Armee von fünfunddreißigtausend gegenüberstanden. Ich habe dir das erzählt, um dir zu zeigen, daß im Vergleich mit der hohen Politik und regulärer Kriegsführung dieser sinnlose Bauernaufstand sich ausnimmt wie eine Spinnwebe an der Wand. Ein erfahrener Führer mäht diese Bauern nieder wie die Sichel das Korn. Diese Schlacht hat den Kaiser allmächtig gemacht – und er ist kein Freund der Lutheraner. Er hat geschworen, die Ketzerei in Deutschland auszurotten und dann mit Hilfe der vereinten Christenheit die Türken zu schlagen. Ich beschwöre dich aus tiefstem Herzen, sei vernünftig. Wir wollen hier heraus, solange wir noch können, und uns einen besseren Platz suchen.«
Seine Worte gaben mir viel zu denken, und doch hielt ich ihn nicht für einen geeigneten Ratgeber. Ich war auch etwas betrunken, weil ich in meiner Freude über unser Wiedersehen mehr Wein als nötig zu mir genommen hatte.
So erwiderte ich: »Du bist immer noch derselbe Einfaltspinsel, Andy. Du magst den Bihänder führen können, aber im Wortstreit unterliegst du. Und deiner Beute brauchst du dich nicht zu rühmen; dem Nachbar in die Börse greifen kann bald einer. Du mußt lernen, daß die Gerechtigkeit Gottes mehr ist als die Rechte von Königen; und wenngleich die zwölf Artikel Menschenwerk und daher fehlerhaft und unvollkommen sind, so beruhen sie doch auf dem Wort Gottes, und keine Macht der Erde kann ihre Verwirklichung verhindern, denn der Herr zerschmettert seine Feinde wie Samson die Philister mit dem Kinnbacken eines Esels. Und vergiß nicht, die Bauern sind besser bewaffnet als Samson. Sie haben Lanzen wie die Soldaten, und Rüstungen, und selbst Geschütze …«
Aber Andy versetzte zweifelnd und durch seine Kriegserfahrung eitel gemacht: »Ich mag im Vergleich zu dir ein Dummkopf sein, aber der gesunde Verstand sagt mir, daß Gott auf selten des
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