Michael, der Finne
die fünf guten Gulden obendrein. Wir ritten schweigend weiter, bis wir bei einem verbrannten Gehöft einen leeren Kuhstall fanden. Dort stellten wir die Pferde ein und legten uns müde, wie wir waren, zur Ruhe. Wir ritten noch zwei Tage, vorbei an zerstörten, rauchenden Herrenhäusern und durch die dichten Fliegenschwärme, die sich um die erstarrten Leichen sammelten; dann hatten wir es satt, hinter Müntzer herzuziehen, und beschlossen, geradewegs nach Mühlhausen zu reiten, wohin sein Bauernheer früher oder später zurückkehren mußte.
3
Wir hatten die Vorstädte im Osten der Stadt noch nicht hinter uns, als wir das Regenbogenbanner im frischen Wind flattern sahen, darunter Thomas Müntzer zu Pferd, mit gesenktem Kopf, im Gesicht gelber als je zuvor. Die Schar der Gläubigen war offenbar beträchtlich zusammengeschmolzen; ich zählte nur etwa dreihundert Mann. Zuerst kamen einige zwanzig Söldner mit geschulterten Hakenbüchsen; dahinter trotteten die übrigen, und ihre Spieße schwankten wie das Getreide im Wind. Aber die Gesichter dieser kleinen Schar glühten wie im Fieber; sie sangen aus vollen Kehlen Müntzers Schlachtgesang: »Komm auf uns herab, o Heiliger Geist, komm!«
Wir zügelten unsere müden Pferde und warteten, bis das Banner herankam. Ich sagte: »Was in aller Welt kann nur geschehen sein? Wo ist Pfeiffer?«
Wir wurden nicht lange im Zweifel gelassen, denn als Müntzer uns sah, hielt er sein Pferd mit ungelenkem Zügelruck an und ließ den Zug halten. Er machte mir heftige und böse Vorwürfe wegen meines langen Ausbleibens. Ich aber antwortete begütigend und fragte, wohin es gehe, warum unsere Schar zusammengeschmolzen und wo Pfeiffer sei.
Dieser Name erboste ihn noch mehr. Er erklärte, Pfeiffer sei nichts als ein weiterer Fallstrick des Teufels auf seinem Weg gewesen; er habe endlich mit ihm abgerechnet und ihn ausgestoßen, damit der Satan ihn holen könne. Er, Müntzer, sei nun mit seinen wenigen verbliebenen Anhängern nach Frankenhausen unterwegs – mit dem fruchtbaren Weizen, von dem die Spreu nunmehr gesondert worden sei, und der hundertfältige – nein, tausendfältige Frucht tragen solle. Frankenhausen habe seine vier Artikel angenommen, und dort warteten sechstausend handfeste Bauern auf ihn, daß er komme und das ewige Königreich, die christliche Ordnung und den deutschen Gottesdienst einführe. Ein so großes Heer habe Thüringen noch nie gesehen. Er sehe darin den Finger Gottes und sei daher unterwegs zu ihnen; Mühlhausen überlasse er seiner eigenen Ungerechtigkeit.
Daraus erkannte ich, daß es zwischen ihm und Pfeiffer zum unwiderruflichen Bruch gekommen war, und Pfeiffer ihn vertrieben und die Stadt in Besitz genommen hatte. Ich ritt an seine Seite und befragte ihn vorsichtig nach Madame Geneviève; er aber erwiderte, er habe alle Metzen aus seinem Gefolge ausgestoßen, dem er nun vollkommene Keuschheit geboten habe, damit es sich, rein an Leib und Seele, zum Kampf rüsten und vorbereiten könnte. Ich hieß daher Andy nach Mühlhausen zurückkehren, Madame Geneviève finden und sie heimlich nach Frankenhausen bringen.
Andy wollte davon nichts hören, wandte aber schließlich doch sein Pferd und ritt zurück, wie ich ihn gebeten hatte. Ich ritt neben Thomas Müntzer weiter und erzählte ihm von meiner Sendung nach Weimar, soviel er davon hören konnte, ohne in blinde Wut zu geraten. Luther, so erklärte ich ihm, habe sich gegen die Bauern gewandt und fordere die Fürsten zu einem allgemeinen Blutbad auf, doch könne man sich immer noch vertragen. Auch bitte der gute Herzog Johann ihn, Müntzer, als seinen wahren Boten des Herrn, für ihn zu beten, damit er zu einem weisen Entschluß gelange.
Meine Worte erbitterten aber Müntzer leidenschaftlich; er wollte an Verhandlungen nicht denken, bevor die Fürsten nicht ihre Titel abgelegt und ihre Burgen zerstört hätten. Er könne mit Gottes Hilfe mit nur zwei oder drei Gläubigen zur Seite ein Heer von Hunderttausend besiegen. Er sprach von der neuen Ordnung und der göttlichen Wahrheit, die ihm an eben diesem Morgen geoffenbart worden sei – die seine vier Punkte überflüssig mache und Gottes Ratschluß in drei kurze Worte zusammenfasse. Er sprach auch von seiner Vergangenheit, wie einer, der den Tod nahen fühlt.
»Die Menschen lassen sich von ihren weltlichen Sorgen blind und taub machen«, sagte er. »Sie hören und hören doch nicht, sie sehen und sehen doch nicht. Wir müssen uns unter der Last des Kreuzes
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