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Michael, der Finne

Michael, der Finne

Titel: Michael, der Finne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Waltari
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beugen, bis wir aller Hoffnung, aller Wünsche und Neigungen – ja selbst aller Enttäuschung ledig sind und einem ausgeblasenen Ei gleichen. Erst dann können wir Gottes Wort in uns aufnehmen. Es mag von den Lippen der Unwürdigen kommen, der Gelehrten oder der Unwissenden, von Kindern oder Narren; ja selbst aus dem Munde eines Menschen, der den Sinn seiner eigenen Botschaft nicht versteht.«
    Mich überlief es bei seinen Worten, denn ich wußte, daß er die Wahrheit sprach und ich selbst die Wahrheit seiner Worte erfahren hatte. Ich muß auch heute noch glauben, daß der Mann etwas von einem Heiligen an sich hatte.
    Am nächsten Tag langten wir, müde von dem langen Marsch, in Frankenhausen an. Die beiden Hauptleute des dortigen Bauernheeres, der eine ein Bürger, der andere ein Adeliger, der all seine Güter verloren hatte, kamen uns entgegen und grüßten Thomas Müntzer und sein Banner ehrerbietig. Zu meiner großen Freude konnte ich keinerlei Anzeichen von Unordnung bemerken, obwohl über sechstausend Bauern in und außerhalb der Stadt lagerten. Diese ernsthaften, wackeren Männer standen nun in geraden Reihen hinter ihren Führern, sichtlich voll Eifer und Entschlossenheit. Es war der tröstlichste Anblick, den ich während der Verwirrung der vergangenen Monate genossen hatte. Angesteckt von Müntzers Überzeugung, fühlte auch ich, daß alle Verhandlungsversuche töricht wären, und bereute meine Bedenken.
    Es war Freitag nachmittag, und Thomas Müntzer hielt trotz der beschwerlichen Reise, die er hinter sich hatte, seinen neuen Anhängern eine so flammende Rede, daß viele niederknieten und ihn als Boten Gottes begrüßten. Die Zeit der Überlegung sei nun vorbei, sagte er; die Gerechten sollten Herz und Sinn wappnen und sich durch Gebet und Fasten zu Kämpfern des Herrn weihen.
    Als er einige Zeit gesprochen und sich in leidenschaftliche Erregung gesteigert hatte, rief er mich zu sich, um mir einen Brief an den Markgrafen von Mansfeld zu diktieren, der sich bereits als geschworener Feind Gottes erwiesen habe, indem er seinen Boten mit Schande aus der Stadt Allstedt vertrieben habe. Auf sein Geheiß schrieb ich diesen Brief:
    »Ich, Thomas Müntzer, weiland Prediger in der Stadt Allstedt, beschwöre Euch im Namen des lebendigen Gottes, Eurer Tyrannei zu entsagen. Ihr habt begonnen, Christenmenschen zu töten und zu foltern. Ihr habt den Christenglauben kindischem Geschwätz verglichen. Ihr Aas! Wer hat Euch eingesetzt, ein Volk zu regieren, das durch das kostbare Blut erlöst worden ist? Ich fordere Euch auf, vor der Gemeinde der Gläubigen zu beweisen, daß Ihr des christlichen Namens wert seid. Kommt Ihr nicht, so werde ich Euch für vogelfrei erklären, und wer Euch tötet, wird ein gottgefälliges Werk tun. Denn wir erhalten unsere Macht von oben, weshalb ich erkläre: Auf das Geheiß des lebendigen, immerwährenden Gottes werden wir Euch mit Gewalt von Eurem Thron fegen, so Ihr Euch nicht unterwerft. Ihr seid nämlich der Christenheit nicht von Nutzen, sondern vielmehr ein eiterndes Geschwür am Leib des Auserwählten Gottes, weshalb Eure Höhle gesäubert und dem Erdboden gleichgemacht werden muß, spricht der Herr!«
    Müntzer las diesen Brief laut den versammelten Bauern vor, die nickten und ihm beipflichteten, der Markgraf von Mansfeld sei ein unbarmherziger Herr und verdiene ein hartes Los. Doch damit nicht zufrieden, ließ Müntzer drei Leute des Markgrafen, die man gefangen hatte, vorführen. Der eine war von edlem Blut, der zweite ein Priester, der dritte ein schlichter Jüngling, der verwirrt die Männer vor sich anstarrte. Mit schriller Stimme rief Müntzer, ob die Diener eines so gottlosen Herrn nicht einen tausendfachen Tod verdienten und ob ihr Tod nicht Mansfeld beweisen würde, daß Müntzer es ernst meine? Und die Bauern, die er mit seiner Predigt bis zur Raserei aufgewühlt hatte, schüttelten ihre Spieße und schrien, diese Männer hätten in der Tat ihr Leben verwirkt. Müntzer ließ sie an Ort und Stelle hinrichten. So wurde zum erstenmal absichtlich Blut unter dem Regenbogenbanner vergossen.
    Als er aber das Blut spritzen und die Körper der Hingerichteten vor sich auf dem Boden zucken sah, blickte Müntzer selbst verstört, und sein Gesicht wurde bleich. Er ermannte sich jedoch rasch und begann wieder zu predigen, bis seine Züge verklärt leuchteten und seine Stimme wie Gottes Wind über das Tal hinfuhr. Die vier Artikel, so sagte er, seien nur der erste Schritt auf dem Weg zum

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