Michael, der Finne
mitleidig und meinte, ich könne meine Erbsenschleudern verwenden, wenn ich wolle. Sein Plan sei, eine feste Wagenburg zu errichten, um der Reiterei Halt zu gebieten.
Darob entrüstet, machte ich ihm Vorhaltungen, wurde aber unterbrochen von Thomas Müntzer, der erklärte: »Der Herr ist unser stärkster Schild und mächtiger als die Rüstung unserer Feinde. Auf Ihn vertrauen wir.«
Ich pflichtete ihm bei, bemerkte aber, wir könnten kaum hoffen, von Ihm an den Haaren zum Sieg geschleppt zu werden, wenn wir auch nicht einen Finger rührten, uns selbst zu helfen. Schließlich erlaubte er mir, zu tun, was ich für das beste hielte.
Ich untersuchte zunächst die Geschütze, von denen wenigstens fünf mir unversehrt schienen. Zu ihrer Bedienung würde ich fünfundzwanzig starke Männer brauchen, ferner Zugtiere, Geschirre, Munition, Ladepfropfen, Lunten und vieles andere. Den ganzen Tag bis tief in die Nacht hinein mühte ich mich ab, dies alles zu beschaffen, und trug einigen Frauen auf, Säcke für die Pulverladungen zu nähen. Um Mitternacht war alles geschehen. Ich war todmüde. Nachdem ich meine Leute angewiesen hatte, abwechselnd zu wachen, damit uns die Pferde nicht gestohlen würden, wickelte ich mich in ein paar Mehlsäcke, bat Gott um seinen Segen und schlief ein.
Ich konnte aber kaum die Augen geschlossen haben, als mich Trommelgedröhn und ein fürchterlicher Krach weckten. Schon schüttelte mich jemand und hieß mich aufstehen. In der Wand der Bäckerei klaffte ein großes Loch, durch das ich sah, daß es draußen noch dunkel war; ich erstickte aber beinahe am Staub von eingestürztem Mauerwerk, und immer noch stürzten Ziegel rings um mich herab. Ich fragte, was in Gottes Namen geschehen sei.
»Der Krieg hat begonnen«, sagte Andy, denn er war es. »Ich ritt nur eine Pferdelänge vor der hessischen Reiterei in die Stadt ein. Aber ich wußte nicht, daß sie auf ihren Pferden Geschütze mitführen; das ist mir bei all meiner Erfahrung neu. Ich wollte dich eben wecken, als diese Kugel durch die Mauer kam, und habe es der heiligen Barbara zu verdanken, daß sie nicht meinen Kopf mitnahm.«
Von draußen kamen die Schreie der Männer, das Wiehern der Pferde, das Weinen der Frauen und das Gepolter laufender Füße. Die Trommeln dröhnten, und eine Kirchenglocke hub an, ums liebe Leben zu rufen.
Ich glaubte, das letzte Stündlein hätte geschlagen, und versuchte, in den Backofen zu kriechen, aber Andy erwischte mich am Arm und meinte beschwichtigend: »Es waren nicht viele Reiter. Ich glaube, sie waren nur der Hauptmacht zur Aufklärung vorausgeschickt, und sie würden kaum wagen, eine Stadt im Sturm zu nehmen. Ich nahm mir jedoch die Freiheit, Alarm zu schlagen, weil ich nicht einsah, warum ihr alle so süß schlummern solltet, während ich, den Tod auf den Fersen, durch die Nacht ritt, was das Zeug halten wollte, um euch zu helfen.«
Wir gingen in den Hof hinaus, wo meine Kanoniere wie aufgescheuchte Hühner hin und her rannten und brüllten: »Zu den Waffen, zu den Waffen!« Einer von ihnen gestand mir beschämt, daß er in der augenblicklichen Erregung die Kanone abgefeuert habe. Ich war so wütend, daß ich ihm links und rechts eine Ohrfeige versetzte und schwor, ihn hängen zu lassen. Andy aber unterbrach mich. Es sei ja kein Schaden entstanden, meinte er; der Mann sei nur übereifrig gewesen, und es sei nun an der Zeit, unsere Geschütze in Stellung zu bringen.
In der Stadt herrschte ein Durcheinander. Andy befahl den Kanonieren, ihre Stellungen zu beziehen; seine Stimme war stärker als meine. Er brüllte, und augenblicklich standen die Leute an ihren Geschützen. Dann untersuchte er jedes einzelne Geschütz sorgfältig und meinte zu mir, ich hätte sie so gut instand gesetzt, wie man das eben von mir erwarten könne. Sie würden einen netten lauten Krach von sich geben, obwohl sie sich mit den verbesserten Waffen des kaiserlichen Heeres schlecht messen könnten.
Ich sah, daß er eifersüchtig war, weil ich fünf Geschütze unter meinem Befehl, er hingegen nichts als einen Bihänder hatte. Daher klopfte ich ihm auf die Schulter und sagte: »Saure Trauben, Andy! Aber sei getrost – ich ernenne dich hiermit zum Stückmeister. Du sollst das Feuer nach Gutdünken leiten, sofern du meine Befehle befolgst, denn ich trage die letzte Verantwortung.«
Andy zeigte keinerlei Dankbarkeit, murmelte nur in sich hinein und folgte mir schleppenden Schrittes auf den Marktplatz. Der Tag brach nun an. In den
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