Michael, der Finne
mich der Anblick des vornehmen Herrn verblüffte, denn er war schmächtig gebaut und kleiner als ich, und aus seinen rotseidenen Kniehosen ragten ein paar dünne und krumme Beine hervor. Seine hochmütigen Züge waren durch schwarze Muttermale entstellt, und auf seinem Kinn sproßte schütterer Bart.
Er las das Schreiben zu Ende und schickte seinen Diener fort. Dann warf er mir einen bösen Blick zu und herrschte mich an: »Weißt du, was dieser Brief enthält?«
Ich sagte ja, ich hätte ihn selbst geschrieben. Zornrot schleuderte er Handschuh und Falken zu Boden und rief aus: »Fünfzig Dukaten! Ein Tropfen Speichel auf einen rotglühenden Ofen! Deine Herrin muß den Verstand verloren haben, mich mit solchen Kleinigkeiten zu behelligen. Sagt ihr, sie soll mir auf der Stelle mehr Geld schicken und sich dann in die finstere Hölle scheren, denn ich will sie nie mehr sehen. Ihre bloße Anwesenheit würde mich anekeln, da sie mich so bitter enttäuscht hat, als ich ihr so sehr vertraute.«
Ich entgegnete, seine Worte seien zu rauh und unbarmherzig für die Ohren einer Frau, und gab ihm zu verstehen, daß er ja nichts verliere, wenn er wenige Minuten seiner kostbaren Zeit opfern wollte, um die fünfzig Dukaten aus den Händen der Dame zu empfangen, da sie ihm etwas Wichtiges mitzuteilen habe.
Als er erkannte, daß er nur auf diese Weise in den Besitz des Geldes kommen konnte, stieß er die fürchterlichsten Verwünschungen aus, lästerte die Dreifaltigkeit und bezweifelte selbst die Jungfräulichkeit Mariens. Schließlich schleuderte er mir den Brief ins Gesicht, hieß mich meine Herrin – die er eine Hure und Jezabel nannte – grüßen und ihr sagen, sie dürfe das Geld am Nachmittag des folgenden Tages bringen.
»Freundlichkeiten braucht sie aber für fünfzig Dukaten nicht zu erwarten«, setzte er hinzu: »Ja, wenn es fünfhundert oder tausend wären – versuch jedenfalls, sie zu bewegen, mir hundert aufzutreiben.«
Er suchte in der Geldkatze an seinem Gürtel nach Lohn für mich, fand sie aber leer und versicherte mich daher nur seiner Gewogenheit, womit er mich ziehen ließ. Zur Sicherheit hob ich den Brief wieder auf, damit er nicht in unrechte Hände gerate, und wanderte den langen Weg zurück zur Stadt und zum Hause des Reliquienhändlers. Madame Geneviève umarmte mich und küßte mich auf beide Wangen, als sie von meinem Erfolg hörte. und ich konnte nur staunen über die Wesensart und die absonderlichen Launen der Frauen.
Am selben Abend kehrte Meister Hieronymus in Begleitung Bewaffneter von einer seiner Reisen zurück. Er war ungewöhnlich heiterer Laune. Er schenkte mir ein Goldstück, und seiner Frau hatte er einen Beutel Dukaten mitgebracht, mit denen sie ein Stück Schmuck beim Goldschmied am Pont Neuf erstehen sollte. Meister Hieronymus hatte nämlich endlich eine Schuld von neuntausend Dukaten bei einem Kunden eintreiben können, dem von einem entfernten Verwandten in der Normandie eine unerwartete Erbschaft zugefallen war. In seiner Freude über diesen unvorhergesehenen Glücksfall hatte der Schuldner stracks seine Verpflichtungen beglichen. Meister Hieronymus, nicht weniger erfreut, vergaß seine übliche Vorsicht. Es war ergreifend, zu sehen, wie er an jenem Abend vor seinen Goldstücken saß, sie wog und aufstapelte und winzige Unebenheiten von den Rändern entfernte.
Am nächsten Morgen hatte er nichts einzuwenden, als seine Frau ihre kranke Amme besuchen wollte; er riet ihr im Gegenteil, zur Nacht dortzubleiben und sich nicht den Gefahren der Straße nach Einbruch der Dunkelheit auszusetzen.
Madame Geneviève wusch sich wieder und wieder am ganzen Leibe, rieb sich mit duftenden Salben ein, kleidete sich in ihre kostbarste Robe und legte ihren schönsten Schmuck an.
Ich staunte, daß diese Vorbereitungen Meister Hieronymus nicht stutzig machten, aber er bewunderte nur die Erscheinung seiner Frau und meinte: »Sie ist noch jung und hat selten Gelegenheit, ihre besten Kleider zu tragen, da ich mir aus Gesellschaft nicht viel mache und es nur wenige Leute gibt, mit denen ich gerne einen Abend verbringen möchte. In meinem Alter ist ein Mann der Gesellschaft überdrüssig geworden, und alle ihre Mitglieder gelten ihm gleich. Es ist nur natürlich, daß meine Frau sich ab und zu in der Öffentlichkeit zu zeigen wünscht, und ich habe keine Angst, solange dein wackerer Bruder Andy sie begleitet, um sie vor Straßenräubern zu schützen.«
5
Den ganzen Nachmittag schrieb ich Briefe, die mir
Weitere Kostenlose Bücher