Michael, der Finne
und nannte uns anständige Kerle. Nach dem Essen setzte er uns süßen Likör vor, wie ihn die Mönche machen, und richtete persönliche Fragen an uns.
Besonders entzückt war er von Andys Körperkraft. Er meinte: »In diesen gottlosen Zeiten sind Redlichkeit und Tugend unter den jungen Leuten selten geworden. Ich brauche einen starken, verläßlichen Burschen, der mein Haus bewacht und mich auf meinen langen Reisen begleitet, denn Diebe und Raufbolde umlauern meine Wohnung und bedrohen meine Habe in jeder Schenke.«
Andy erwiderte bescheiden, der Feldzeugmeister der königlichen Artillerie habe ihm drei Golddukaten monatlich versprochen, wenn er in die Dienste des Königs trete. Der Greis bekreuzigte sich vor Schrecken und wandte ein, Andy müsse die gute Kost und das schöne Quartier, die Kleider, die Sicherheit und den Seelenfrieden eines Lebens inmitten wundertätiger Reliquien von seinen Forderungen abziehen; denn mit solchen Dingen handelte unser Gastgeber Hieronymus Arce.
»Die lieben Heiligen müssen uns zum Schutz Eurer edlen Frau herbeigeführt haben«, entgegnete Andy. »Mein Kamerad Michael und ich, wir gehören zusammen, und wenn auch er gleich mir Euer gutes Essen und neue Kleider bekommt, so will ich gerne Euer Haus bewachen, zumindest für einige Zeit. Freilich weiß ich nicht, wie lange wir hier bleiben werden, denn ich muß ja mein Handwerk erlernen.«
Dies sagte er scherzend, doch Meister Hieronymus ging zu meiner Überraschung bereitwillig darauf ein und besiegelte den Handel mit einem Handschlag.
Seine Gemahlin, die schöne Madame Geneviève, setzte ihrerseits hinzu:
»Wenn dieser junge Student seine Mahlzeiten in unserem Hause einnehmen soll, so wird er mich hoffentlich oft unterhalten und mir die Zeit durch Vorlesen erbaulicher Heiligenlegenden vertreiben. Auch möchte ich selbst gerne lesen lernen, wenn er meinen armen Weibsverstand dessen für fähig hält.«
So wurde Andy Pförtner in Meister Arces Haus und trug ein hübsches blaues Wams mit Silberknöpfen. Ihm hatte ich es zu verdanken, daß ich täglich mit den anderen Dienern essen durfte, und Madame Geneviève rief mich oft in die inneren Gemächer, damit ich ihr aus dem einen oder anderen der vielen französischen Bücher, die der Greis besaß, laut vorläse. Meister Hieronymus schlurfte in Filzpantoffeln durch das Haus und achtete sorgfältig darauf, daß die Tür zum Gemach seiner Frau stets offenstand, wenn ich bei ihr weilte. Ab und zu spähte er durch den Türspalt, beruhigte sich aber, als er sah, daß ich nichts Böses im Schilde führte.
Er führte eine umfangreiche Korrespondenz mit fremden Ländern. Zum Lohn dafür, daß ich ihm seine Briefe schrieb, nahm er mich eines Tages in seine feste Schatzkammer im Keller mit. Kaum öffnete sich die Tür mit den vielen Schlössern und Eisenbeschlägen, roch ich auch schon den Weihrauch und stand förmlich geblendet vor der Fülle an Schätzen, die er dort zusammengetragen hatte, Der kostbarste darunter war eine echte Kreuzpartikel. In einem goldenen Kästchen mit Glasdeckel lagen ein paar gelbliche Staubkörner – die Überreste zweier Tropfen von der Milch der Allerseligsten Jungfrau.
Er zeigte mir auch einen anderen sehr merkwürdigen Gegenstand, ein Stück einer Planke des Bootes, in dem die Apostel saßen, als sie Unseren Herrn auf dem Meer wandeln sahen. Meister Hieronymus verhandelte gerade über den Verkauf dieser Reliquie an einen reichen Reeder, der gerne erproben wollte, wie sie sich als Talisman für Schiffe in Seenot bewähren würde. Ferner hing in jener Kammer eine Elle des Strickes, daran Judas sich erhängt hatte, und zwei schöne Hahnenfedern von dem Hahn, der für St. Petrus gekräht hatte.
Ich hatte meine guten Gründe, daß ich Meister Hieronymus behilflich war und in seinem Hause verweilte, war ich doch von dem Augenblick an, da ich Madame Geneviève zum erstenmal gesehen hatte, ihrem Zauber verfallen, und neben ihr zu sitzen hieß für mich in hellen Flammen stehen. Ihr dunkler Blick, ihr müder Mund und ihre wohlgerundeten Schultern hatten mich bezaubert, und ich konnte an nichts anderes denken. Sie ließ sich von mir alle erdenklichen leichtfertigen Geschichten vorlesen, die alles eher als erbaulich waren, und während ich las, seufzte sie gar oft tief auf, stützte das Kinn in die Hand und sah vor sich hin.
Unsere Bekanntschaft hatte etwa eine Woche gedauert, als sie die Abwesenheit ihres Gemahls benützte und mich fragte: »Michael, mein Freund,
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