Michael, der Finne
hohe Stellungen zu befördern, wenn es mir an Witz fehle, selbst dahin zu kommen.
»Aber«, so schloß er, »wenn Ihr nicht ein größerer Narr seid, als ich glaube, so müßt Ihr schon den Rahm von der Schüssel abgeschöpft haben, die ich Euch vergangenen Winter vorsetzte, und jetzt ein reicher Mann sein. Ich will mich daher begnügen, Euch meinen Segen zu senden und auch Erfolg in allen Euren Unternehmungen zu wünschen.«
Als ich diese Zeilen las, fiel es mir wie Schuppen von den Augen, und ich fühlte eine so große Leere in mir, wie damals, als Julien d’Avril zur Bekehrung der Türken aufgebrochen war und mich in der kleinen Schenke vor Paris mit seinem Abschiedsbrief hatte stehenlassen. Auch verstand ich nicht, was Meister Slagheck mit dem »Rahm« meinte. Ich hätte ihn mit Freuden gezwungen, all den Rahm zu lecken, den man mir in jenem Winter zu Abo vorgesetzt hatte, wo mir Laien wie Geistlichkeit nichts als Spott und bösen Willen entgegengebracht hatten.
6
In diese düsteren Überlegungen war ich an jenem Abend versunken, als Andy eintrat. Er nahm ohne ein Wort des Grußes die Mütze ab, setzte sich in eine Ecke, stützte das Kinn in die Hand und seufzte tief auf. Ich seufzte ebenso tief zur Antwort, um ihm zu zeigen, daß ich meine eigenen Sorgen hatte. Aber als wir einige Zeit seufzend beisammengesessen hatten, wurde ich ungeduldig und fragte ihn, warum er gekommen sei, mich so zu plagen.
»Sei nicht böse, Michael«, antwortete er. »Ich habe den Hals in der Schlinge und bin am Ende meiner Weisheit, wie ich ihn herausziehen soll. Du bist klüger als ich und überdies ein Gelehrter; du mußt mir aus der Patsche helfen. Diesen ganzen Winter hindurch hat mich die Wirtin Zu den Drei Kronen liebevoll betreut, wie du weißt, und bisher hatte ich nicht zu klagen. Aber nun hat sie mich in die Enge getrieben; sie will, daß ich sie heirate!«
Dies hörte ich mit Staunen, wünschte ihm aber von ganzem Herzen Glück dzu.
»Andy, du Liebling Fortunas! Die Drei Kronen sind die beste Schenke in Abo, und die Witwe kann ihr Gold mit der Schaufel zählen. Überdies ist sie in ihrem Gewerbe wohlerfahren und eine gesprächige, umgängliche Frau.«
Aber Andy entgegnete: »Ach, wenn es nur ums Essen ginge, wollte ich nicht klagen. Aber eine Heirat – davor hab’ ich mich immer gedrückt. Ich bin noch jung, und sie ist doppelt so alt wie ich. Mir ist, als wolle sie mich mit vorgehaltener Pistole an den Altar bugsieren … Und der Frühling hat mich aufgestört. Ich kann nicht länger hier herumlungern, obwohl ich mir jeden Morgen und Abend und besonders zu den Mahlzeiten sage, wie gut es ist, unter alten Freunden zu sein, die eine christliche Sprache reden.«
Seine trübsinnigen Worte stimmten mich nachdenklich, und ich entgegnete nach tiefem Grübeln: »Es liegt auf der Hand, Andy, daß uns beiden in den Sternen ein gemeinsames Schicksal geschrieben steht, denn wenn du Angst und Kümmernis ausgestanden hast, so ist auch mir zumute wie einem, der ohne Hosen auf einem Ameisenhaufen sitzt. Mir sind schwere Bedenken über König Christians Beweggründe aufgestiegen; jedenfalls zahlt er aber einen gar schäbigen Lohn. Und somit wäre auch ich reif zur Entlassung und zum Aufbruch, wäre es nicht so beschwerlich, als armer Mann zu reisen. Und ich kann mir nicht denken, wie ich meinen Beutel füllen soll.«
Andy warf mir einen forschenden Blick zu und meinte: »Gestern abend kam ein seltsamer Gast in die Drei Kronen; als er hörte, daß ich ein ausgebildeter Kanonier sei, begann er, mich mit einer sehr verlockenden Beschäftigung zu versuchen. Er gehört, scheint’s, zu Grabbacka Nils’ Leuten, und die Arbeit, die er für mich hat, wäre ein Posten auf einem Kaperschiff, wo ein kluger Mann auch bald ein reicher ist.«
»Andy, Andy«,, warnte ich ihn. »Du sprichst von gottlosen Dingen – und zum Seemann bist du nun einmal nicht geboren. Junker Thomas hat geschworen, Nils am Nock seines Schiffes, des ›Finnischen Prinzen‹, aufzuhängen. Außerdem ist Grabbacka Nils ein blutdürstiger Mann, der Häuser voller Menschen in Brand gesteckt und selbst Kirchen ausgeraubt hat.«
»Aber«, versetzte Andy nachdenklich, »er will nur junge, unverheiratete Männer in seinen Diensten, und das spricht für ihn. Der Kerl bei den Drei Kronen kann seine Schlauheit nicht genug loben. Nils erklärte, er beraube die Dänen im Namen Gottes und seines Landes und aller guten Menschen. Zu Junker Thomas’ Drohungen meinte er, so sicher
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