Michelle Obama – Ein amerikanischer Traum
mitfühlende Zuhörerin und als Ratgeberin in Haushaltsfragen zeigen. Bei der Konferenz der Organisation «National Partnership for Women and Families» im Ballsaal des Washington Hilton im Juni 2008 war sie als Hauptrednerin angekündigt, sprach aber nur sieben Minuten. Fragen aus dem Publikum wurden nicht zugelassen. Vielmehr lauschte Michelle die meiste Zeit anderen Rednerinnen und tröstete, zum Beispiel, die Soldatenfrau Tammy Edwards, deren Mann nach einer schweren Verwundung im Irak als Pflegefall heimgekehrt war.
Auch in der populären Talkshow «The View» war von der unerschrockenen Anklägerin ungerechter Verhältnisse nur noch wenig zu spüren. Michelle erörterte mit einer Ernährungsexpertin gesunde Frühstückskost. Immerhin ließ sie zwischendurch ihren Widerspruchsgeist und Individualismus aufblitzen: Auf gebratenen Speck zum Frühstückstoast, protestierte sie lachend, wolle sie nicht verzichten.
Die Wahlkampferfahrung mit den zwei gegensätzlichen Michelles hinterließ widerstreitende Gefühle. Einerseits rief sie Mitgefühl hervor. Aus Rücksicht auf Barack durfte Michelle nicht sie selbst sein. Einmal mehr musste sich eine Frau unterordnen und verstellen, weil es die Interessen ihres Mannes verlangen. Denn natürlich lautete die naheliegende Interpretation, schon wegen der zeitlichen Abfolge: Amerika hatte zunächst eine unverstellte Michelle erlebt. Die Frau, die sich über Ungerechtigkeiten empört und in offenen Worten von ihrem Mann und ihren Kindern erzählt, ist die authentische Michelle. Bei anderen löste ihr offenkundiger Rollenwechsel neues Misstrauen aus: Wer kann mit Gewissheit sagen, dass diese erste Ausgabe der Wahlkämpferin die wahre Michelle zeigte? Vielleicht hatte sie auch da schon eine Rolle gespielt, nur eben eine andere als in der zweiten Phase. Eine solche These ließe sich mit den wohlverstandenen Wahlkampfinteressen des Paares begründen. Der Kampf um das Weiße Haus zerfällt in zwei Phasen. Bevor die beiden großen Lager, Demokraten und Republikaner, im Hauptwahlkampf aufeinandertreffen, müssen sie erst einmal entscheiden, wen sie ins Rennen schicken. In dieser ersten Phase, die sich bis in den Frühsommer eines Wahljahres erstreckt, kämpfen Demokraten gegen Demokraten (und parallel Republikaner gegen Republikaner), wer zur Wahl antreten darf. Das entscheiden die Anhänger beider Parteien in den sogenannten Vorwahlen: den Abstimmungen in allen 50 Bundesstaaten, die sich von Januar bis Juni hinziehen. In dieser Phase musste sich Barack Obama gegen Hillary Clinton durchsetzen. Das gelang ihm, indem er ein linkeres Profil als seine Rivalin zeigte. Eine kämpferische Kandidatenfrau, die soziale Ungerechtigkeiten anklagte, passte gut zur Strategie in dieser Zeit.
Nachdem Barack die Kandidatur gegen Hillary Clinton durch Ansprache des linken Parteiflügels gewonnen hatte – Anfang März hatte er einen kaum noch einzuholenden Vorsprung erzielt –, musste er für die Hauptwahl gegen den Republikaner John McCain allmählich in die politische Mitte rücken. Präsidentschaftswahlen in den USA werden in der Regel dadurch entschieden, wer das Zentrum der Gesellschaft für sich mobilisieren kann. In dieser zweiten Phase wäre eine Michelle, die als «angry black woman» und als «Mrs. Grievance» wahrgenommen wird, hinderlich gewesen.
Ausgelöst wurde der Rollenwechsel durch die frühen Attacken der Republikaner, die sich an Michelles unglücklicher Äußerung über den Stolz auf Amerika entzündeten. Doch den Wandel von der energischen Anklägerin zu einer moderaten Kandidatenfrau, die die Mitte Amerikas repräsentieren kann, hätte sie so oder so wenig später vollziehen müssen. Jedenfalls sofern sie Rücksicht auf die politischen Interessen ihres Mannes nahm.
Was für ein Mensch ist Michelle nun in Wahrheit und wie sehr verstellt sie sich im Dienste der Wahlkampfinteressen? Diese Fragen bewegten Amerika seit ihrem Rollenwechsel umso mehr.
Kleinere Schwindeleien erlauben sich viele Menschen, um in den Augen ihrer Umgebung etwas besser dazustehen. Das tun auch Politiker – und ebenso ihre Frauen. Michelle ist davon nicht frei. Sie selbst hat wiederholt widersprüchliche Angaben über angeblich prägende Ereignisse gemacht. Ebenso gibt es freilich Beispiele für das umgekehrte Muster: Michelles Verhalten wird plötzlich anders bewertet. Ihre offene Sprache wurde erst gelobt; dann hieß es, sie habe ein zu loses Mundwerk. In diesem Fall hatte nicht sie sich geändert,
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