Mick Jagger: Rebell und Rockstar
Stromschnellen zu gelangen, die ihm den Weg versperren. Der Dokumentarfilm Die Last der Träume zeigt, mit was für enormen Problemen das Produktionsteam zu kämpfen hatte: von Auseinandersetzungen mit den Eingeborenen über Krankheitsfälle bis hin zu der logistischen Wahnsinnsaufgabe, ein Schiff tatsächlich über einen Berg zu transportieren. In dieser Dokumentation sind auch die einzigen Aufnahmen von Mick in der Rolle des Wilbur sehen, die gedreht wurden, kurz bevor er aus dem Projekt ausstieg, um mit den Stones, die mit Tattoo You ein neues Album im Gepäck hatten, auf Tour zu gehen. Die Ausschnitte aus Die Last der Träume zeigen uns, was hätte sein können. Mick ist einfach fantastisch in der Rolle dieser vom Dschungel überreizten, verschwitzten Figur, die die Augen verdreht und mit den Zähnen klappert, als sie zusammen mit Robarts im Glockenturm einer kleinen Kirche Gedichte rezitiert.
»Wilbur, du bist definitiv mein Mann!«, jauchzt der zügellose Robarts. Die beiden geben ein wunderbar skurriles Paar ab und hätten sicher bis zum Schluss bestens zusammengearbeitet. In seinem Tagebuch (das später unter dem Titel Die Eroberung des Nutzlosen veröffentlicht wurde) beschreibt Werner Herzog Mick Jagger als einen prima Kumpel, der alles mitmacht. Mit seinem Privatwagen half er, das Team zum Drehort und wieder zurück zu fahren. Und als er einmal von einem der vielen Dschungelaffen gebissen wurde, brach er in schallendes Gelächter aus, anstatt zu lamentieren. Außerdem gelang es ihm, den Regisseur während des ziemlich zermürbenden Drehs bei Laune zu halten. »Immer, wenn wir eine Pause einlegen, lenkt er mich mit intelligenten kleinen Vorträgen über englische Dialekte oder die Entwicklung der Sprache seit dem späten Mittelalter ab«, schrieb Herzog.
Anfang 91, nach einer ausgedehnten Tour mit den Stones, wollte Mick es wieder einmal mit der Schauspielerei versuchen. Er entschied sich für die Rolle des futuristischen Kopfgeldjägers Victor Vacendek in dem nicht gerade mit einem üppigen Budget ausgestatteten Science-Fiction-Streifen Freejack , an dem auch Emilio Estevez, Rene Russo und Anthony Hopkins mitwirkten. In Freejack bekam Jagger seine erste große Hauptrolle seit Ned Kelly . Im Kreis seiner Schauspielkollegen befand sich Jagger in guter Gesellschaft. Estevez war zu dieser Zeit ein Erfolgsgarant. Young Guns , in dem er als Billy the Kid zu sehen gewesen war, war ebenso wie die gelungene Fortsetzung (gedreht von Freejack -Regisseur Geoff Murphy) ein absoluter Kassenschlager. Anthony Hopkins hatte gerade einen Oscar für seine Darstellung des Hannibal Lecter in Das Schweigen der Lämmer bekommen, und das Ex-Model Rene Russo war auf dem besten Weg, die Actionfilm-Leinwandschönheit des Jahrzehnts zu werden (noch im selben Jahr stand sie für Lethal Weapon 3 vor der Kamera). Anspruchsvolle Science-Fiction-Filme standen wieder hoch im Kurs, seit Paul Verhoevens Total Recall (der Nachfolger zu dem ebenso geistreichen wie nihilistischen 87er-Sci-Fi-Streifen RoboCop ) 1990 in die Kinos gekommen war. Arnold Schwarzenegger sollte in Kürze ein zweites Mal als Terminator zu sehen sein. Die Umstände waren also ziemlich günstig, um auch mit Freejack einen Filmhit zu landen. Wie alle guten, anspruchsvollen Science-Fiction-Filme basiert auch Freejack auf einem Kultroman: Lebensgeister GmbH von Robert Sheckley aus den späten 50ern. Außerdem ritt er auf der damals angesagten Cyberpunk-Welle, die die Romane von William Gibson und das sich langsam ausdehnende World Wide Web hervorgebracht hatten. Kybernetik war für die späten 80er und frühen 90er das, was das Tibetische Totenbuch und das I Ging für Mick Jaggers Sixties gewesen waren. Die Figur, deren Rolle man Jagger angeboten hatte, war die schillerndste im ganzen Film – und um ehrlich zu sein, auch das einzig Interessante daran.
Victor ist ein Schurke wie er im Buche steht; es geht ihm ums Geld – zumindest möchte man uns das glauben machen. Mick Jagger gelingt es, diesem »Schurken« einen ganz eigenen Ausdruck zu verleihen. Wie bei vielen Filmen mit Arnold Schwarzenegger, der wie Jagger ebenfalls unterschätzt wurde, fiebert der Freejack- Zuschauer eher mit dem »Schurken« als dem Helden mit. Dennoch lässt sich trotz der schauspielerischen Leistungen nicht leugnen, dass die ganze Geschichte ein bisschen albern ist. Wer nach einem Beispiel für einen Rockstar sucht, der als Schauspieler kein Talent besitzt, sollte Micks Auftritte mit denen des
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