Mick Jagger: Rebell und Rockstar
Fundament und machten richtig Dampf.
»Jedem, der die Stones in Richmond sah, war sofort klar, dass das eine total coole Band war«, sagt Peter Asher heute, damals eine Hälfte des Pop-Duos Peter and Gordon und der Bruder von Paul McCartneys Freundin Jane Asher. »Jede Woche kamen mehr Leute zu ihren Auftritten. Man hatte das Gefühl, dass sich da irgendwas zusammenbraut. Brian und Mick, die damals große Konkurrenten waren, stachen besonders hervor. Brian war einfach fabelhaft. Er hatte diese große, grüne Gretsch und reizte das Vibrato voll aus.« Brian spielte zu dieser Zeit auch die meisten Mundharmonika-Soli in ihrem kurzen Set mit Coverversionen von Bluessongs, die hauptsächlich von Bo Diddley und Chuck Berry stammten. Doch Mick hatte noch einen Trumpf im Ärmel, mit dem es ihm gelang, die meiste Aufmerksamkeit auf sich zu lenken – mehr vielleicht, als er damals vertragen konnte: Um diese Zeit herum begann seine insgesamt drei Jahre währende Beziehung zu der damals achtzehnjährigen Chrissie Shrimpton, die ihn nach einem Auftritt angesprochen und forsch einen Kuss gefordert hatte.
Solche Vorfälle häuften sich zwar damals und wurden von Mal zu Mal alltäglicher, doch Shrimpton unterschied sich von den anderen Rolling-Stones-Fans. Sie kam aus einer gut situierten Familie und hatte eine berühmte Schwester.
© Globe Photos Inc.
Mick mit seiner ersten festen Freundin Chrissie Shrimpton, 1966.
Chrissie Shrimptons ältere Schwester Jean, damals besser bekannt unter dem Spitznamen »The Shrimp«, hatte als das Gesicht des neuen Londons bereits international einige Bekanntheit erlangt. Sie ging eine Zeit lang mit dem Filmstar Terence Stamp aus und war mit dem Fotografen David Bailey liiert. Jean war Baileys Muse; ihr hübsches Gesicht mit der wohlgeformten Nase, den sinnlichen Lippen, dem makellosen Kinn und den großen Augen war in Modezeitschriften und auf Werbeplakaten überall auf der Welt präsent. Chrissie war nicht mit derselben ebenmäßigen Schönheit gesegnet wie ihre Schwester. Ebenso wie Mick hatte sie volle Lippen. Ihr Pony war etwas zu lang, und ihr langes Haar bändigte sie oft mit breiten Haarbändern. Durch ihren typischen Blick, in dem nicht eine Spur Begeisterung für irgendetwas zu sehen war, wirkte sie immerzu unbeteiligt. Unter all den Fotos, die ich von ihr gesehen habe – es mögen um die hundert gewesen sein –, gab es nur eines, auf dem sie lächelte. Chrissie war enorm reizbar und genoss es, sich mit Mick oder jedem anderen, über den sie sich aufregte, zu streiten. Nichtsdestotrotz: Sie war eine Shrimpton, und gegen Ende des Jahres 1963 bedeutete eine Beziehung mit ihr soviel wie in die höchsten Pop-Kreise einzuheiraten. Wer die neue Lieblingsband der Shrimpton-Girls war, sprach sich damals schnell herum. »Er ist großartig«, so, erinnert sich David Bailey, schwärmte Chrissie Shrimpton ihm gegenüber von Mick. »Er wird erfolgreicher sein als die Beatles.« Mick und Chrissie waren damals noch so jung, dass man ihnen kaum unterstellen kann, ihre Beziehung hätte vor allem auf beiderseitigem Kalkül basiert. Doch klar ist, dass dank ihr schließlich Mick und nicht Brian zum Star der Band avancierte. Er wurde berühmt und Chrissie Shrimpton genoss es. Als Freundin eines aufstrebenden Rock’n’Rollers hatte Chrissie gewiss das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, gerade wenn man bedenkt, dass sie ständig mit ihrer schönen und berühmten Schwester verglichen wurde. Dennoch schien das Verhältnis zwischen Mick und Chrissie nicht sonderlich innig gewesen zu sein. Augenzeugen berichten von etlichen Streitereien, sowohl im privaten Rahmen als auch in der Öffentlichkeit. Chrissie ist zweifellos mit dem namenlosen »Girl« in vielen frühen Stones-Songs gemeint, wie beispielsweise in »Stupid Girl«. Gleichwohl war Micks Liaison mit ihr eine entscheidende Beziehung zu einer entscheidenden Zeit.
© Dezo Hoffmann/Rex USA
Mick mit frühen Jagger-Moves im Crawdaddy Club, wo die Rolling Stones ihr erstes Engagement hatten, 1963.
Eines Abends tauchten die Beatles höchstpersönlich im Crawdaddy Club auf, während die nervösen Stones mit Vollgas durch Bo Diddleys »Roadrunner« jagten. Zwar waren sie damals noch nicht die internationalen Superstars, als die wir sie heute kennen, dennoch galten die Beatles zu dieser Zeit bereits als größte neue englische Rockband, während die Stones mit ihren Auftritten gerade einmal genug Geld einnahmen, um die sechzehn Pfund aufzubringen, die
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