Mick Jagger: Rebell und Rockstar
sie jede Woche für ihre Wohnung am Edith Grove locker machen mussten (wo sich Chrissie übrigens selten blicken ließ). Sie durften schon einmal einen Blick auf echte Rockstars riskieren, doch sie selbst waren immer noch kleine gammelige Studenten (oder ehemalige Studenten), die wie Tiere zusammenhausten.
Es war wohl Andrew Loog Oldham, der Kontakt zu den Beatles hatte und mit gerade einmal neunzehn Jahren schon eine schillernde Figur in der Musikindustrie war, der Mick dazu brachte, den Weg als professioneller Musiker nun auch konsequent weiter zu verfolgen. Oldham war ein Überredungskünstler. »Er war ein Filou: sehr jung, sehr cool, extrem gut aussehend«, so Pete Asher. »Er war ein Macher. Keine Frage, er hat mich absolut beeindruckt. Wenn man ihn einmal in Aktion erlebt hatte, [wusste man einfach, dass es dieser Typ] zu was bringen würde.« Oldham quatschte sie nach ihrer Show am 28. April 1963 an, und innerhalb nur eines Monats nahmen die Rolling Stones in den Londoner Olympic Studios – jenem großen Studio, in dem sie bald ihre größten Klassiker einspielen sollten – ihre Debütsingle auf: eine flotte Coverversion von Chuck Berrys wenig gespieltem »Come On« und eine gemächliche Fassung des weiter oben bereits erwähnten »I Want to Be Loved«. »Alles ging sehr fix«, erinnerte sich Mick einmal. »Aber damals musste man schnell sein, weil einfach so viel passierte und man in der Flut der Ereignisse untergehen konnte.«
Oldham machte der jungen Band Mut, dennoch konnte ihnen niemand garantieren, dass sie außerhalb der Londoner Clubszene Erfolg haben würden. Brian war geradezu besessen davon, erfolgreich zu sein. Und Keith brauchte einfach die Band, um weiterzukommen. Ihm stand durchaus nicht der Sinn danach, sich für die Zeit, in der er nicht Gitarre spielte, irgendeinen Bürojob zu suchen, bei dem er das am Sidcup Art College erworbene Wissen anwenden konnte. Er hatte schon ein paar nicht eben positive Erfahrungen in verschiedenen Londoner Werbeagenturen gesammelt, war allerdings bald zu seinen Platten und seiner Gitarre in die Wohnung am Edith Grove zurückgekehrt. Er fand es dort wesentlich angenehmer, als sich in irgendeinem Büro über die Wünsche irgendwelcher Kunden den Kopf zerbrechen zu müssen.
Mick war von all der Aufmerksamkeit, die ihm zuteil wurde, und den Prophezeiungen, dass er bald ein großer Star sein würde, eher beunruhigt. Die Entscheidung, sein durch ein Stipendium voll finanziertes Studium an der London School of Economics abzubrechen und damit den Plänen und Wünschen seiner Eltern nicht Folge zu leisten, muss ungeheuer schwer gewesen sein. Zwei Dinge mögen ihm die Entscheidung letztlich etwas erleichtert haben. Man muss sich zunächst bewusst machen, dass Rockstars damals noch nicht auf langjährige Karrieren zurückblicken konnten wie Schauspieler, Autoren oder bildende Künstler. Der Rock’n’Roll steckte damals noch in den Kinderschuhen und wurde von vielen als vorübergehende Mode angesehen. Wenn es allerdings eine Band gab, der man es damals zutraute, mehr als eine kurzfristige Modeerscheinung zu sein, dann waren es die Beatles. Und Oldhams Kontakt zu dieser Band war sehr gut und trug bereits Früchte. Da sie keine selbst komponierten Songs hatten, die sie als Singles hätten herausbringen können, fragten Oldham und die Stones bei John Lennon und Paul McCartney nach, ob sie irgendetwas Brauchbares für sie in petto hätten. Und tatsächlich arbeitete McCartney gerade an einer bluesigen Nummer mit dem Titel »I Wanna Be Your Man«, die perfekt zu passen schien. Gerüchten zufolge sollen er und Lennon sich in eine Ecke irgendeines Nachtclubs verkrochen haben, um die Nummer fertig zu schreiben; der Band und ihrem Manager spielten sie sie anschließend in voller Länge vor. Der wohl bekannteste Kommentar zu dieser Nummer (abgegeben von Mick höchstpersönlich in der Beatles-TV-Parodie The Rutles: All You Need is Cash von 1978, über die wir später noch mehr erfahren werden) lässt vermuten, dass es sich, gemessen am allgemeinen Niveau der Beatles, um Ausschussware handelte (gesungen wird die Version, die die Beatles später selbst einspielten, bezeichnenderweise von Ringo Starr). Dieser Song war für die Stones, die wie die meisten anderen Gruppen damals eine reine Coverband waren, dennoch mehr als gut genug. »I Wanna Be Your Man« ist in der Tat eine eher mittelmäßige Nummer, doch ihre wilde Interpretation verschaffte den Stones im November 63 ihren
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