Mick Jagger: Rebell und Rockstar
Okkultismus und kurzzeitig auch mit dem Werk des Autors und Regisseurs Kenneth Anger beschäftigt, für den er auf einem neuen Moog-Synthesizer auch den dröhnenden Soundtrack zu dem eigentümlich gruseligen Kurzfilm Invocation of my Demon Brother schrieb (die Mitwirkenden: homoerotische Albinos; Soldaten, die einem Hubschrauber entsteigen; Bobby Beausoleil, ein in Verbindung zu Charles Manson stehender, verurteilter Mörder; Anton LaVey, Gründer der Church of Satan, und eine Menge Feuer). Während Kenneth Anger ein durchaus ernsthaftes Interesse an den Stones hatte (die er für mächtige Hexer hielt), war Jaggers Faszination für Anger nur flüchtig. Er hatte keinen Song für den Teufel geschrieben, sondern einen über ihn. Inzwischen wusste er, was es bedeutet, dämonisiert zu werden.
Mit seiner dunklen Sonnenbrille, der obligatorischen Zigarette im Mundwinkel und seiner gebieterischen intellektuellen Coolness schien Godard zunächst der ideale Verbündete zu sein. Ähnlich wie die Stones benutzten die Autoren der Nouvelle Vague Versatzstücke amerikanischer Ikonografie (Gangsterpulp, Hitchcock-Filme und Cool Jazz statt Blues) und schufen daraus etwas völlig Neues. Godard wollte die Stones bei der Arbeit an einem Song zeigen, dessen Fertigstellung ihnen einige Mühe bereitet. Dazwischen wollte er verschiedene Kurzszenen montieren – manche witzig, andere eher schaurig –, die in immer stärkerem Maße das Thema Kampf behandelten. Im Falle der Stones war es ein kreativer Kampf, die geplanten Zwischenszenen sollten den politischen Kampf der amerikanischen Minderheiten und des Vietcong ins Bild rücken. Aufnahmen der Stones, die meisten davon ohne Ton – Bill mürrisch wie eh und je in seinen pinkfarbenen Boots, Keith stoned und in irgendwelche Paralleluniversen abgedriftet, Brian, aufgedunsen vom Alkohol und allein in irgendeiner Ecke auf einer Akustikgitarre klimpernd, und Mick, der seine Bandkollegen ungeduldig instruiert, während sie sich um den richtigen Vibe bemühen (»Drei Strophen durch, dann ein Solo … es soll absolut cool anfangen.«) – werden abgelöst von Bildern von schwer bewaffneten Black-Panther-Anhängern, die aus Mein Kampf und LeRoi Jones’ The Dutchman zitieren und sich an revolutionären (und zugleich sehr symbolträchtigen) Aktionen beteiligen. Ein Wagen fährt vor und jungfräulich anmutende, in Weiß gekleidete, barfüßige Frauen werden vorgeführt, um zuerst begrapscht und dann exekutiert zu werden (womit die Täter der weißen, männlich geprägten Gesellschaft ihre primitivsten Ängste vor Augen führen). Die Stones im Studio machen Fortschritte, wobei »Fortschritt« hier ein Schlüsselwort ist. Keith spielt Bass und sucht nach einem eingängigen Groove, »Sympathy« klingt schon ein bisschen lebendiger. Mick bastelt noch immer am Text: »I been round for many a long – Scheiße!«
Alle, die sich den Film heute ansehen und den Song gut kennen, werden von der groben Machart der Nummer fasziniert sein. Wer das Endergebnis kennt, betrachtet den Film in einer konstanten Erwartungshaltung, erpicht darauf zu sehen, dass die Stones den Song endlich zu der Nummer machen, die uns vertraut ist. »I shouted out who killed Kennedy«, singt Mick. Es ist der 4. Juni 1968, und wir wissen, wie es weitergehen wird. Mick natürlich nicht. Es ist ein unheimliches Gefühl. Vier Tage später wird Bobby Kennedy in der Küche des Ambassador Hotel in Los Angeles erschossen und aus »who killed Kennedy« wird »who killed the Kennedys«. Und die Stones, die wieder einmal in ihrem Bunker hocken, während draußen Blut vergossen wird, greifen die Gewalt in ihrem Kommentar auf und erreichen dadurch eine noch größere Wirkung. Als Nächstes dekonstruiert Godard die Idee von der berühmten Persönlichkeit als idealem Leitbild, indem er eine naive Unschuld (Anne Wiazemsky, die die weibliche Hauptrolle in Godards ähnlich politisch ambitioniertem Vorjahresfilm Die Chinesin spielte) mit hoch philosophischen Fragen bedrängt (»Glauben Sie, dass Drogen eine spirituelle Form des Glücksspiels sind?«), die allesamt mit einem einfachen »Ja« beantwortet werden. Als wir den Stones das nächste Mal begegnen, setzen sie Congas ein und haben für »Sympathy« einen Groove gefunden. Während Mick an seinem Gesangspart arbeitet, singen Keith, Brian, Anita und Marianne den berühmten »Woo woo«-Backgroundgesang ein. (Diese Szene wurde vermutlich von Godard inszeniert, weil der Backgroundgesang zu dieser Zeit
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