Mickey Haller 04 - Der fünfte Zeuge

Prozentsatz der Fälle tun die Empfänger das auch. Manchmal zieht dies ein Strafverfahren nach sich, manchmal führt es zu weiteren Ermittlungen. Weil Ermittlungen viel kosten und wir dafür nicht die nötigen Gelder haben, ist das für uns ein nützliches Hilfsmittel geworden. Wenn also ein solches Schreiben dazu führt, dass eine Anzeige erstattet wird oder ein Zeuge kooperiert oder sich eine konkrete Spur auftut, sind wir mehr als zufrieden.«
    »Um jetzt ganz konkret auf das Schreiben an Louis Opparizio zu kommen – was hat Sie veranlasst, ihm einen Target Letter zu schicken?«
    »Also, meinem Partner und mir war sein Namen bereits geläufig, weil er uns regelmäßig bei anderen Fällen unterkam, die wir bearbeiteten. Nicht unbedingt in negativem Zusammenhang, nur eben dass Opparizios Firma das ist, was wir eine Zwangsversteigerungsfabrik nennen. Sie erledigt für viele der im südlichen Kalifornien vertretenen Banken die in Zusammenhang mit einer Zwangsversteigerung anfallenden Formalitäten. Diese Fälle gehen in die Tausende. Wir stießen also immer wieder auf Mr. Opparizios Firma – ALOFT –, und manchmal gab es Beschwerden wegen der Methoden, deren sie sich bediente. Deshalb beschlossen mein Partner und ich, uns genauer mit diesen Vorwürfen zu befassen. Wir schickten ihnen einen Target Letter, um zu sehen, wie sie darauf reagieren würden.«
    »Heißt das, Sie haben nur nach einer Reaktion gefischt?«
    »Es war schon etwas mehr als bloßes Fischen. Wie gesagt, waren uns in Zusammenhang mit ALOFT bereits einige Unstimmigkeiten aufgefallen. Deshalb wollten wir ihnen etwas auf den Zahn fühlen, denn manchmal diktiert uns die Reaktion auf einen Target Letter unsere nächsten Schritte.«
    »Hatten Sie zu dem Zeitpunkt, zu dem Sie den Target Letter verfassten und abschickten, bereits Beweise für irgendwelche Straftatbestände seitens Louis Opparizios oder seiner Firma?«
    »Zu diesem Zeitpunkt nicht, nein.«
    »Was passierte, nachdem Sie die Benachrichtigung abgeschickt hatten?«
    »Bisher nichts.«
    »Hat Louis Opparizio auf das Schreiben geantwortet?«
    »Wir erhielten ein Antwortschreiben eines Anwalts des Inhalts, Mr. Opparizio würde die Ermittlungen begrüßen, weil sie ihm die Gelegenheit böten zu zeigen, dass es bei ALOFT nichts zu beanstanden gäbe.«
    »Sind Sie auf diese Einladung zurückgekommen, und haben Sie weitere Nachforschungen über Mr. Opparizio oder seine Firma angestellt?«
    »Nein, dazu hat uns bisher die Zeit gefehlt. Wir haben noch mehrere andere Ermittlungsverfahren laufen, die uns aussichtsreicher erscheinen.«
    Freeman zog ihre Notizen zu Rate, bevor sie zum Schluss ihrer Befragung kam.
    »Eine letzte Frage, Agent Vasquez. Ermittelt Ihre Sondereinheit gegenwärtig gegen Louis Opparizio oder ALOFT?«
    »Technisch gesehen, nein. Aber wir haben vor, die Sache weiter zu verfolgen.«
    »Die Antwort ist also nein?«
    »Richtig.«
    »Danke, Agent Vasquez.«
    Freeman setzte sich mit strahlender Miene. Offensichtlich war sie sehr zufrieden mit der Aussage des Agenten. Ich stand auf und nahm meinen Notizblock ans Pult mit. Ich hatte mir ein paar aus der direkten Vernehmung erwachsende Fragen aufgeschrieben.
    »Agent Vasquez, sollen die Geschworenen Ihre Äußerungen so auffassen, dass eine Person, die nicht auf Ihren Target Letter reagiert – sprich, nicht umgehend zu Ihnen kommt und ein Geständnis ablegt –, keines Straftatbestands schuldig ist?«
    »Nein, das wollte ich damit nicht zum Ausdruck bringen.«
    »Betrachten Sie die Angelegenheit mit Louis Opparizio mittlerweile als geklärt, weil er nicht auf den Target Letter reagiert hat?«
    »Nein.«
    »Verschicken Sie diese Benachrichtigungen auch an Personen, die Sie keiner Straftatbestände für schuldig halten?«
    »Nein, das tue ich nicht.«
    »Was ist dann die Schwelle, Agent Vasquez? Was muss man anstellen, um so einen Target Letter zu erhalten?«
    »Grundsätzlich lässt sich sagen: Wenn Sie in irgendeiner auffälligen Weise auf meinem Radarschirm auftauchen, stelle ich vorläufige Nachforschungen an, die dann in einem Target Letter resultieren können. Wir verschicken diese Briefe nicht aufs Geratewohl. Wir wissen sehr genau, was wir tun.«
    »Haben Sie oder Ihr Partner oder sonst ein Mitglied Ihrer Sondereinheit mit Mitchell Bondurant über die Methoden von ALOFT gesprochen?«
    »Nein, das haben wir nicht. Niemand hat das getan.«
    »Wäre er jemand gewesen, mit dem Sie gesprochen hätten?«
    Freeman legte Einspruch